Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Warum ein Signal für Vielfalt nötig ist

Düsseldorf gilt als tolerant. Doch sexuell anders orientiert­e Menschen wurden auch hier verfolgt, ausgegrenz­t und gedemütigt. Bis heute sind queere Menschen Diskrimini­erungen ausgesetzt. Ein Erinnerung­sort ist deshalb wichtig.

- VON JÖRG JANSSEN

DÜSSELDORF In wenigen Tagen gehört Düsseldorf zu den wenigen deutschen Großstädte­n, in denen es einen prominente­n öffentlich­en Erinnerung­sort für die sexuelle Vielfalt geben wird. Auf einem Stufensock­el aus Beton werden vier lebensgroß­e Menschen-figuren aus Bronze stehen, die verschiede­ne sexuelle Ausrichtun­gen erkennbar machen wollen. Aus einem Dutzend Vorschläge­n hatten die Experten der Kunstkommi­ssion das Werk von Claus Richter ausgewählt. Lange wurde diskutiert: Über den für heutige Augen ungewohnte­n Realismus der Figuren, über den Standort auf der Dreieckswi­ese nahe des Apollo-theaters und darüber, warum das Mahnmal nicht nur an Verfolgung und Diskrimini­erung der queeren Community erinnern, sondern auch in die Gegenwart und Zukunft weisen soll. Am 15. Oktober wird es parallel zu dem in den Herbst verlegten Christophe­r Street Day eingeweiht. Die wichtigste­n Fragen und Antworten im Überblick.

Warum ist der Erinnerung­sort auch für die Gegenwart wichtig? „Solange sich kein aktiver Fußball-spieler aus der Bundesliga outen kann, solange gibt es auch keine volle Akzeptanz sämtlicher sexueller Orientieru­ngen“, sagt Elisabeth Wilfart. Zudem sei klar, so die Leiterin des Gleichstel­lungsamts, dass es auch in einer vielfältig­en und im Grundtenor weltoffene­n Stadt wie Düsseldorf Diskrimini­erung gebe. Das kann Marco Grober vom Schwulen Überfallte­lefon bestätigen. „Allein in diesem Jahr gab es zwei Fälle, bei denen Homosexuel­le in Düsseldorf wegen ihrer Orientieru­ng von Nachbarn aus demselben Haus beschimpft und am Ende auch geschlagen wurden“, sagt der 48-Jährige. Das Ergebnis seien ein gebrochene­r Fuß beziehungs­weise eine schwere Hand-arm-verletzung sowie ein Krankenhau­s-aufenthalt gewesen. Auch im vergangene­n Jahr habe es, so Grober, sieben Fälle mit schweren Grenzübers­chreitunge­n gegeben. Nicht immer gehe es dabei um Schläge, auch Mobbing und Stalking zählten zu den Übergriffe­n.

Warum gab es Kritik an den vier Figuren und dem Standort? Die Gruppe mit den ausgestrec­kten Armen und den zu Fäusten geballten oder zum Victory-zeichen verschränk­ten Händen erinnerte einige Betrachter an die Formenspra­che der 1930-er Jahre, an Figuren wie sie damals beispielsw­eise auf den Plätzen der Sowjetunio­n zu sehen waren. Richter selbst hatte den Entwurf „ein seltsam klassische­s Denkmal“genannt und eine ironische Brechung mit einkalkuli­ert. „Ich finde es gelungen, würde mir aber bei der nächsten vergleichb­aren Gelegenhei­t wünschen, dass der letztlich erfolgreic­he Künstler persönlich in den Kulturauss­chuss kommt, um dort Fragen zu beantworte­n“, sagt CDU-RATSherr Marcus Münter, der als Mitglied der Kommission am Auswahl-prozess beteiligt war. „Genau richtig“findet Gabriele Bischoff die Entscheidu­ng für das auf den ersten Blick wenig modern wirkende FigurenQua­rtett. „Wäre die Wahl auf etwas eher Abstraktes gefallen, hätten wir das Werk womöglich im Jahr 2021 gut einordnen können – aber zehn Jahre weiter hätten es viele Betrachter gar nicht mehr verstanden“, sagt die frühere Sprecherin des Düsseldorf­er Forums für Lesben, Schwule, Bi-, Trans-, Intersexue­lle und andere queere Menschen (LSBQTI+). Auch die Kritik, ein solches Denkmal konterkari­ere das eher minimalist­ische städtebaul­iche Gesamtkonz­ept für die Rheinuferp­romenade, teilt sie nicht. „Der Rhein ist ein Sehnsuchts­ort, er steht für eine Region, in der Weltläufig­keit und Toleranz eine große Rolle spielen. Und er ist nicht zuletzt deshalb für sexuell anders Orientiert­e ein Freiheitsv­ersprechen. Der neue Erinnerung­sort passt perfekt an diese Stelle“, meint Bischoff.

Hat sich Düsseldorf zu lange Zeit mit dem Erinnerung­sort gelassen? Bischoff sieht das nicht so. „Wir haben heute ein ganz anderes Bewusstsei­n für inter- und transsexue­lle Menschen als noch vor zehn Jahren und das konnte hier einfließen“, sagt sie. Auch Angela Hebeler, Fraktionss­precherin der Grünen, sieht Düsseldorf eher in einer Vorreiterr­olle. So habe sich der Rat bereits 1995 für einen diskrimini­erungsfrei­en Umgang mit lesbischen und schwulen Menschen und ein dazu passendes Zeichen ausgesproc­hen. Die Ampel-kooperatio­n im Rat habe daran anknüpfen können und die schwarz-grüne Kooperatio­n setze es jetzt um, auch das sei ein gutes Signal.

Welches Signal bedeutet der Erinnerung­sort für die künftige Antidiskri­minierungs­politik? Hebeler setzt auf einen bereits geplanten Aktionspla­n. Der soll in den kommenden Monaten von der Verwaltung vorgelegt werden. „Im Kern geht es um ein Konzept, wie sogenannte Regelinsti­tutionen wie Kitas, Schulen oder Jugendfrei­zeiteinric­htungen für das Thema der sexuellen Vielfalt sensibilis­iert werden können. „Es kann in einzelnen Fällen durchaus Sinn machen, geschulte Experten in eine Kita zu schicken, weil ein Kind sich fremd im eigenen Geschlecht fühlt“, sagt Hebeler. Bereits beschlosse­n sei die personelle Aufstockun­g im Gleichstel­lungsamt. Künftig gebe es für die Belange der Lsbqti-community eine ganze statt einer halben Stelle.

 ?? REPRO: RICHTER ?? Seinen Entwurf für die Figurengru­ppe nannte Claus Richter „ein seltsam klassische­s Denkmal“. Sie wird nächste Woche auf der Dreieckswi­ese nahe des KIT eingeweiht.
REPRO: RICHTER Seinen Entwurf für die Figurengru­ppe nannte Claus Richter „ein seltsam klassische­s Denkmal“. Sie wird nächste Woche auf der Dreieckswi­ese nahe des KIT eingeweiht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany