Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Nun auch noch ein Musical
Die Netflix-verfilmung „Diana“erzählt die Geschichte der Princess of Wales. Ab 16. Dezember ist das Stück am Broadway zu sehen.
Dass große Kinofilme wie „Black Widow“oder „Dune“mit dem Start auf der Leinwand zeitgleich auch auf StreamingPlattformen verklappt werden – daran hat man sich in pandemischen Zeiten gewöhnen müssen. Aber dass nun mit „Diana“ein Musical auf Netflix zu sehen ist, noch bevor sich der Vorhang für die Produktion am Broadway lüftet, ist eine neue Qualität im Kampf um die popkulturelle Vorherrschaft.
Ursprünglich sollte das MusikBühnenstück über die „Prinzessin der Herzen“am 31. März 2020 in New York seine Premiere feiern. Aber das Infektionsgeschehen in den USA und der Lockdown im Big Apple verhinderten die Aufführung. Hinter verschlossenen Türen und ohne Publikum wurde allerdings ein Durchlauf mit mehreren Kameras aufgenommen, der nun die Grundlage für die gefilmte Bühnenversion auf Netflix bietet, bevor das Musical am 16. Dezember am Broadway seine Live-premiere feiern wird.
Schon als der erste Trailer veröffentlicht wurde, ging ein Raunen durch Presse und soziale Medien. Muss das Leben von Lady Di, das gehetzt von Paparazzi durch einen Autounfall am 31. August 1997 ein plötzliches Ende fand, nun auch noch als Singspiel ausgeschlachtet werden? An Dokumentationen über die Princess of Wales fehlte es nach ihrem Tod nicht. Aber was die fiktive Verarbeitung ihres Schicksalsweges anging, hielten Theater und Kino über lange Jahre diskret Abstand.
Stephen Frears „The Queen“(2006) spielte das Thema über Bande an, indem er seine Filmhandlung mit dem Tod Dianas beginnen ließ. Oliver Hirschbiegel forschte mit „Diana“(2013) in den letzten beiden Lebensjahren seiner Titelheldin außerhalb des Buckingham-palastes und ging damit nicht nur im Vereinigten Königreich an den Kinokassen baden. Erst die vierte Staffel der NetflixSerie „The Crown“wagte sich weiter vor und widmete der jungen Diana zwei vollständige Episoden. Die fünfte Staffel der Chronologie des britischen Königshauses wird das Thema sicherlich weiter vertiefen.
Beim diesjährigen Filmfestival in Venedig feierte soeben Pablo Larraíns „Spencer“Premiere, der die Geschehnisse um die scheiternde Ehe zwischen Diana und Charles mit Kristen Stewart als Prinzessin aus der Scheidungsperspektive betrachtet und selbst bei der britischen Presse gut ankam. Vielleicht hatte es Netflix deshalb so eilig mit dem Release des Musical-streamings, das mit dem Kinostart von „Spencer“wahrscheinlich weniger Aufmerksamkeit bekommen hätte. Aber nun steht Jeanna de Waal als Diana allein im Bühnenrampenlicht und singt davon, welche Möglichkeiten darin liegen, wenn man von der Welt unterschätzt wird. In ganzer Breite fächert Christopher Ashley die wendungsreiche Geschichte der Lady Di in zweimusical-stunden auf, und das ist eine Menge Stoff.
Als naive 19-Jährige gerät die Kindergärtnerin Diana Spencer in die Klauen des englischen Königshauses. Prinz Charles (Roe Hartrampf ) ist fasziniert von dem unschuldigen Charme der jungen Frau. Noch faszinierter ist er jedoch von seiner langjährigen, verheirateten Geliebten Camilla Parker Bowles (Erin Davie), die mithilft, die Hochzeit einzufädeln, um jenseits der öffentlichen Aufmerksamkeit die Affäre mit Charles weiterführen zu können. Und die Presse stürzt sich auf Diana. In langen Trenchcoats wirbeln die Paparazzi über die Bühne und tauchen ihr Opfer in ein Blitzlichtgewitter.
Aber schon bald zerplatzen Dianas rosarote Prinzessinnen-träume, als ihr klar wird, dass sie von
Charles nie mehr als eine halbherzige Zuneigung bekommen kann. Während sie das Volk als nahbare Vertreterin der Monarchie feiert, stürzt sie privat zunehmend in die Depression. Daran kann auch die Geburt der beiden Söhne wenig ändern. Nach einem Selbstmordversuch beginnt sie jedoch ihre eigenen Wege zu gehen und engagiert sich für wohltätige Zwecke. Sie ist die erste Prominente, die eine Abteilung für Hiv-infizierte besucht, um der Stigmatisierung der Krankheit entgegenzuwirken. Und so fährt Ashley, unterstützt durch die Kompositionen von Bon-jovi-keyborder David Bryan, die Stationen einer zerrütteten, königlichen Ehe mit erstaunlicher Beflissenheit ab, worin man das Bemühen um eine differenzierte Darstellung des Falles Diana Spencer deutlich erkennen kann.
Wer allerdings die jüngste Staffel von „The Crown“gesehen hat, wird hier wenig Neues über das vermutete, fiktive Familiengeschehen im Hause Windsor und Dianas Rolle darin erfahren. Auf der Strecke bleibt im durchaus pathetischen Singspielmodus eine tiefere Beschäftigung mit der Faszinationskraft Dianas und ein emotionaler Zugang zu ihrer Geschichte, die über spekulative Ehekriegsszenarien hinausgehen.
Hierfür fehlen dem Musical spürbar die notwendigen Instrumente zur erzählerischen Tiefe und Feinabstimmung bei der Charakterisierung der Figuren.