Rheinische Post – Düsseldorf Stadt
Eine Frage des Vertrauens
Gegner müssen zueinanderfinden. Das ist heikel, weil es verwundbar macht.
Wenn die Verhandlungsführer der Parteien in Berlin in diesen Tagen vor die Kameras treten, fällt kaum ein Wort so oft wie „Vertrauen“. Alle pochen darauf, dass sie vertrauensvoll miteinander über die Bildung einer neuen Bundesregierung sprechen und weiteres Vertrauen aufbauen wollen. So oft ist davon die Rede, dass man schon misstrauisch werden kann. Geht es in der Politik doch um das Aushandeln von Interessen und darum, „möglichst viel aus den eigenen Programmen durchzusetzen“. Da zählen gewöhnlich Stärke und Geschick. Auch wenn sich das vor Kameras nicht so gut macht.
Und doch wird Vertrauen in diesen Tagen geradezu herbeibeschworen. Das hat natürlich mit der Regierungsbildung zu tun. Denn auf dem
Weg dorthin müssen in den nächsten Wochen noch zahlreiche Kompromisse gefunden werden. Dafür ist Vertrauen unerlässlich, doch macht Vertrauen zugleich höchst verletzlich. Denn wer vertraut, gibt einen Vorschuss. Er nimmt an, dass ein anderer es ehrlich meint und entsprechend handelt. Er verlässt sich darauf. Das ist die Grundlage für jede Absprache, aus der gemeinsames Handeln werden soll. Doch natürlich ist die Politik eine Sphäre, in der es um Strategien und Interessen geht – also kein herrschaftsfreier Raum. Das liegt in der Natur der Sache und ist nichts Schlechtes, doch bleibt Vertrauen in diesem Kontext immer fragil, muss ständig bewiesen und abgesichert werden.
Ein Vertrauensbeweis dieser Tage ist die Vertraulichkeit. Entsprechend harsch sind die Reaktionen, wenn dann aus den Gesprächen der Verhandler doch Informationen an die Öffentlichkeit dringen. Gleichzeitig ist die Empörung über den Vertrauensbruch selbst wieder Teil des politischen Prozesses. Liefert der Vertrauensbruch doch die beste Vorlage, ein mögliches Bündnis gar nicht erst anzugehen. Es kann in der Politik also kein naives Vertrauen geben, doch muss die Basis des Miteinanders mehr als Taktik sein, wenn am Ende eine handlungsfähige Regierung stehen soll.
Unsere Autorin ist Redakteurin des Ressorts Politik/meinung. Sie wechselt sich hier mit unserem stellvertretenden Chefredakteur Horst Thoren ab.