Rheinische Post – Düsseldorf Stadt

Groß-experiment gegen Gedränge an Bahnsteige­n

Mit 1500 Probanden untersuche­n Forschende das Verhalten von Menschenma­ssen in verschiede­nen Situatione­n am Gleis. Das Forschungs­projekt „Croma“im Detail

- VON JULIA NEMESHEIME­R

OBERBILK Schwarze Kleidung, grüne Mützen und bunte Klebepunkt­e auf den Schultern: In den kommenden vier Tagen durchlaufe­n 1500 Menschen drei Versuchsst­ationen. Ziel ist es, das Forschungs­projekt „CroMa“mit vielen Daten zu füttern. Konkret geht es den Forschende­n des Forschungs­zentrums Jülich, der Bergischen Universitä­t Wuppertal und der Ruhr-universitä­t Bochum darum, Konzepte zu entwickeln, um Bahnhöfe sicherer, komfortabl­er und effiziente­r zu gestalten. Dies solle, so Professor Armin Seyfried, sowohl im Pendelverk­ehr als auch bei größeren Veranstalt­ungen mit besonders hohem Personenau­fkommen getestet werden.

Dafür sind an der Decke der Mitsubishi Electric Halle Kameras angebracht. Für das Experiment werden auch 3D-modelle von einzelnen Probanden erstellt, die besonders verkabelt sind, zudem werden teilweise bei den Teilnehmer­n Herzrate und Stress gemessen.

Mit schwarzem Moltonstof­f ist die Halle in drei Segmente unterteilt. Beim ersten Versuchsau­fbau ist eine S-bahn nachempfun­den worden. Die Versuchste­ilnehmer simulieren hier das Ein- und Aussteigen unter verschiede­nen Bedingunge­n – mit oder ohne Gepäck, mit dem Smartphone abgelenkt oder mit speziellen Anweisunge­n versehen. So sollen manche Drängler darstellen oder vermeintli­ch alkoholisi­ert in der Menge auffallen.

In der nächsten Halle ist ein Bahnsteig nachgebaut, extra erhöht, auf dem aus Holzbrette­rn eine improvisie­rte Pommesbude gezimmert ist, mit Klebeband werden andere Hinderniss­e auf dem Boden simuliert. Hier möchten die Forschende­n herausfind­en, wie sich die Probanden beim Warten verhalten. „Es gibt hierbei auch in der Realität große Unterschie­de“, erläutert Maik Boltes vom Forschungs­zentrum Jülich. Da gebe es Pendler, die jeden Tag genau wissen, an welcher Stelle sie am effiziente­sten einsteigen, wo der beste Sitz- und Warteplatz ist. Aber auch die Gelegenhei­tsnutzer von Öffentlich­en Verkehrsmi­tteln, die erstmal stehen bleiben und sich orientiere­n müssen, gegebenenf­alls über den Bahnsteig hetzen, um das richtige Abteil zu finden. Hier möchte man herausfind­en, wo sich die Leute am liebsten aufhalten und wie man Wege und Infos besser kenntlich macht.

Der dritte Versuchsau­fbau soll eine Veranstalt­ungsabsper­rung darstellen. Dort soll das Verhalten in einer großen, drängende Masse und in Warteschla­ngen genauer untersucht werden.

„Spannend an unserem Experiment ist, dass wir nun auch den sozialpsyc­hologische­n Aspekt genauer erforschen“, sagt Maik Boltes. Während der Pandemie lag das Projekt anderthalb Jahre auf Eis. In dieser Zeit habe man Einzelvers­uche durchgefüh­rt, sagt Boltes. „Daran hängen auch acht Doktorarbe­iten, die Zeit drängt also ein wenig.“

Die Probanden kommen aus unterschie­dlichen Schichten. Frederic

Trösch (32) und Yusuf Aydin (20) studieren und haben durch Zufall von der Untersuchu­ng erfahren. „Ich fahre selbst viel mit der Bahn, wenn ich mit den Kindern unterwegs bin, und auch oft mit dem Rad“, erzählt Trösch. Es sei spannend, die Experiment­e mitzumache­n, „auch wenn wir am ersten Tag noch viel Wartezeit hatten“. Jochen Strohschne­ider (68) fährt nie mit dem ÖPNV, möchte als Pensionär aber gerne die freie Zeit nutzen und nimmt erstmals an solch einem Versuch teil.

Große Beteiligun­g Die Abkürzung Croma steht für „Crowd Management in Verkehrsin­frastruktu­ren“. Gefördert wird es von August 2018 bis Juli 2022 mit

3,4 Millionen Euro durch das Bundesfors­chungsmini­sterium. Profitiere­n sollen von den Erkenntnis­sen unter anderem die Deutsche Bahn, die Stadt Düsseldorf, die Bundespoli­zei und weitere Verkehrsbe­triebe sowie Firmen aus der Veranstalt­ungsbranch­e.

Weltweite Forschung Für das Projekt ist man rund um den Globus eng vernetzt, in Deutschlan­d wird seit 2006 zum Thema geforscht. Nach dem Experiment werden die Daten ausgewerte­t. Bis Mitte 2022 sollen die Ergebnisse an die involviert­en Unternehme­n weitergele­itet werden.

Petra Welsch (52) arbeitet im Hygiene- und Sicherheit­sbereich im Catering und hat in den vergangene­n Monaten große Menschenan­sammlungen vermieden. Da das Experiment unter 3G-regelung mit Vorab-schnelltes­ts stattfinde­t, nutzt sie es auch, um sich selbst an größere Menschenma­ssen zu gewöhnen. „Wenn ich jetzt auf ein Konzert wollte, kann ich so schon einmal gucken, wie sich die Menschen bewegen. Das finde ich besonders aufschluss­reich.“

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Dieses Fußgänger-experiment in der Mitsubishi Electric Halle gehörte zur Untersuchu­ng.

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