Die Diamanten von Nizza
Sam blickte zu Johnson hinüber, der immer noch in sein Gespräch vertieft war. „Ich glaube, das würde ihm gefallen. Warum fragst du ihn nicht einfach?“„Er war begeistert von der Idee“, jubelte Philippe, als sie davonfuhren, wobei sie vorsorglich einen kleinen Umweg in Kauf nahmen, um Percy aus dem Weg zu gehen, der seiner Hundehütte entkommen war und ihnen an der Zufahrt auflauerte. „Er hat versprochen, mich anzurufen, sobald er mit seiner Regierung gesprochen hat – ich nehme an, damit ist seine Frau gemeint –, um einen ganztägigen Fototermin mit Mimi und mir auszumachen. Wie findest du das?“
„Ich finde, du hattest mehr Glück als ich. Dieses Anwesen ist genau wie die beiden anderen – vollgestopft mit Sicherheitsschnickschnack und einem Safe, der aus dem Tresorraum einer Bank stammen könnte.“
„Nun, zumindest haben wir es versucht.“Philippe musterte seinen Freund. „Ich hoffe, du kriegst jetzt keine Depressionen. Wir wussten schließlich immer, dass wir uns auf ein Vabanquespiel eingelassen haben.“
Als Sam und Elena ins Le Pharo zurückkehrten, war Rebouls petite amie Monica Chung gerade aus Hongkong eingetroffen, und Reboul hatte unzählige Pläne für Ausflüge und Abenteuer im Kopf – Korsika, ein Besuch im Casino von Monte Carlo (sie liebte das Glücksspiel wie die meisten Chinesen) und vielleicht ein Wochenende oder zwei in Paris. Elena und Sam hatten ihn noch nie so umtriebig gesehen, ein Zustand, der ansteckend war und Sam aus dem lähmenden Gefühl der Enttäuschung herausriss.
„Werden wir sie zu Gesicht bekommen?“, erkundigte sich Elena. „Oder haben Sie vor, sie für sich zu behalten?“
„Nun, das hängt auch davon ab, ob ich meinen Chauffeur noch mal zum Arbeiten bewegen kann, Immer wenn ich in brauche, treibt Olivier sich in Nizza herum. Ich vermute…“
„Oh, Entschuldigung, Francis, es macht dort nicht das, was Sie vermuten. Ich habe ihn damit beauftragt, das Anwesen der Castellacis zu beschatten, aber nur in Zeiten, in denen Sie ihn nicht brauchen. Ich kann ihn jetzt abziehen, er hat schon genug herausgefunden, es tut mir leid, dass Sie darunter zu leiden hatten.“
„Schon gut, es war nicht so schlimm, und ich kann ja auch selbst fahren“. Reboul wollte wissen, was Olivier herausgefunden hatte, aber Elena beließ es bei so vagen Andeutungen, dass Francis sich an Sam wandte.
„Bevor Monica herunterkommt, wüsste ich gerne, wie es Ihnen heute ergangen ist. Irgendwelche Spuren? Durchbrüche? Aufgedeckte Geheimnisse?“
„Ich wünschte, es wäre so“, erwiderte Sam. „Leider könnte man eher sagen, dass wir in einer Sackgasse gelandet sind, mit diesem ungelösten Fall. Wie bei den beiden anderen Fällen. Vielleicht sollte ich das Ganze abblasen und anfangen, Golf zu spielen.“
Elena verdrehte die Augen. „Ich glaube, die Aufregung könnte ich nicht ertragen.“
Weitere Diskussionen über Sams Zukunftspläne wurden von Monicas Ankunft unterbrochen, die sich dem Anlass entsprechend in einem hautengen und hochgeschlitzten cremefarbenen Seiden-Cheongsam präsentierte. Elena und Sam waren ihr vor ein paar Jahren zum ersten Mal begegnet und erinnerten sich, dass sie eine bemerkenswert schöne Frau war, mit porzellanzarten Gesichtszügen und lackschwarzen Haaren. Man konnte sich nur schwer vorstellen, dass sie zu den Geschäftsfrauen in Hongkong gehörte, die mit allen Wassern gewaschen waren. Ihr Anblick erinnerte Elena und Sam an den Abend vor geraumer Zeit, als Reboul ihnen von der neuen Frau in seinem Leben erzählt hatte.
Monica war der letzte Spross der Chung-Dynastie in Hongkong. Ihr Vater, in der Geschäftswelt als King Chung bekannt, betete seine Tochter an, verwöhnte sie schamlos und war entschlossen, ihr eines Tages die Herrschaft über das Chung-Imperium zu übergeben. Als Teil ihrer Einführung in die Welt außerhalb Hongkongs hatte er sie im Alter von zwanzig Jahren nach Europa geschickt.
London hatte sie erheitert, trotz des Wetters, und Rom hatte sie beeindruckt. Doch als sie in Paris ankam, hatte sie Feuer gefangen – hingerissen von der Schönheit, dem Ambiente und vor allem von seinen männlichen Bewohnern. Sehr zum Leidwesen ihres Vaters, der gehofft hatte, sie an einen Stützpfeiler der High Society von Hongkong zu verheiraten, hatte sie die französischen Männer entdeckt. Ihr Charme, ihre Eleganz, die verführerischen Düfte eines teuren Aftershave – sie war hin und weg. Der kurze Abstecher nach Paris verwandelte sich in einen halbjährigen Aufenthalt, und als sie am Hong Kong International Airport aus dem Flugzeug stieg, hatte sie neben ihrem Gepäck auch einen Verlobten namens Jean-Luc Des- cartes bei sich, einen vielversprechenden Absolventen der École Nationale d’Administration, der Kaderschmiede französischer Spitzenpolitiker.
Es war eine Beziehung mit einem grundlegenden Problem, auf das Monicas Vater binnen kürzester Zeit hingewiesen hatte: Jean-Lucs Zukunft lag in Paris, Monicas in Hongkong. Was folgte, war eine für alle unangenehme Nervenzerreißprobe – auf romantische Wiedersehen in Paris oder Hongkong folgte die Rückkehr ins reale Leben. Es konnte nicht funktionieren, und das tat es auch nicht. Die dazwischenliegenden Zeiten wurden immer länger, Jean-Luc lernte jemanden in Paris kennen, Monica jemanden in Hongkong. Jean-Luc war inzwischen Vater von drei Kindern und Monica eine geschiedene Frau mit zahlreichen Firmen, in die sie ihr Herzblut investierte. Und dann war sie Francis Reboul begegnet, als sich dieser auf Geschäftsreise in Hongkong befand. Ihre Liebe zu den Franzosen, die viele Jahre geschlummert hatte, tauchte wieder aus der Versenkung auf und erblühte; nun sannen beide auf Mittel und Wege, mehr und mehr Zeit miteinander zu verbringen.
Monica lächelte, als sie auf Elena und Sam zuging. „Wie schön, Sie wiederzusehen. Francis hat mir gerade erzählt, dass Sie unsere neuen Nachbarn werden. Das ist wunderbar! Vielleicht können Sie ein Auge darauf haben, dass er bei der Marseiller Damenwelt nicht in Schwierigkeiten gerät.“
„Francis, Sie werden ja rot!“, rief Elena aus.
„Ich werde immer rot, wenn ich kurz vor dem Verdursten bin.
(Fortsetzung folgt)