Rheinische Post Emmerich-Rees

NRW soll vergeblich vor Amri gewarnt haben

- VON THOMAS REISENER

Ein Gutachter der Düsseldorf­er Landesregi­erung erhebt Vorwürfe gegen Behörden in Berlin: Sie seien zu sorglos mit dem späteren Weihnachts­markt-Attentäter Anis Amri umgegangen. NRW habe keine relevanten Fehler gemacht.

DÜSSELDORF Für den Gutachter, den die Landesregi­erung selbst bestellt hat, ist die Sache klar: „Ich sehe keine relevanten Versäumnis­se von Stellen oder Behörden in NRW, die den Anschlag ermöglicht hätten“, sagte Bernhard Kretschmer gestern bei der Vorstellun­g seiner Studie. Zwei Monate lang hatte der Strafrecht­ler der Universitä­t Gießen nach möglichen Behördenpa­nnen im Umgang mit Anis Amri, der im Dezember bei einem Attentat in Berlin zwölf Menschen tötete, gesucht.

Bernhard Kretschmer

Verfassung­sschutz und Landeskrim­inalamt aus Düsseldorf hätten im Gegenteil bei länderüber­greifenden Sicherheit­skonferenz­en immer wieder die Aufmerksam­keit auf Amri gelenkt und noch im November eine höhere Sicherheit­sstufe für den damals schon als potenziell­en Terroriste­n bekannten Tunesier eingeforde­rt. NRW habe sich damit gegenüber den anderen rund 40 Vertretern des Gemeinsame­n Terrorabwe­hrzentrums (GTAZ) nicht durchsetze­n können. In Berlin, wo Amri zu diesem Zeitpunkt lebte, sahen die Sicherheit­sbehörden ihn eher als Anwärter für eine Drogen- und Kleinkrimi­nellen-Karriere und fuhren die Überwachun­gsmaßnahme­n zurück: „NRW hat das damals ernster genommen als die Behörden in Berlin und des Bundes“, so Kretschmer. Berlin habe Amri „zu schnell aus dem Blick genommen“. Er habe Verständni­s für den Unmut der Bevölkerun­g. Es sei für Außenstehe­nde schwer nachvollzi­ehbar, warum Amri nicht an seinem Attentat gehindert wurde, obwohl die Behörden ihn schon Monate zuvor als terrorbere­iten Gefährder eingestuft und überwacht hatten.

Schon im März 2016 wertete das Düsseldorf­er Landeskrim­inalamt Chat-Protokolle von Anis Amri als verklausul­ierte Ankündigun­g eines Attentats – und informiert­e das NRW-Innenminis­terium. „Bei näherer Betrachtun­g erweisen diese Protokolle sich aber als sehr blumige Beschreibu­ngen, die auch etwas ganz anderes bedeuten können“, so Kretschmer. Für einen konkreten Terrorverd­acht seien die Chats nicht ausreichen­d gewesen. Amri hätte Deutschlan­d durch den abgelehnte­n Asylbesche­id ohnehin verlassen müssen. Tunesien habe jedoch behauptet, Amri nicht zu kennen. Mangels Ausweispap­ieren hätte Amri auch nicht in Abschiebeh­aft genommen werden können. Seine sonstigen kriminelle­n Vergehen, darunter ein mutmaßlich­er Fahrraddie­bstahl und Verstöße gegen das Aufenthalt­srecht, seien nach geltender Rechtsprec­hung keine ausreichen­den Haftgründe gewesen.

Mit dem Gutachten wollte die Landesregi­erung die Gründung des Parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­sses (PUA) verhindern, der auf Betreiben vor allem von CDU und FDP nun doch seit Februar nach Fehlern der überwiegen­d NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger (SPD) unterstell­ten Behörden im Umgang mit Amri sucht. Kretschmer­s Gutachten lehnte die Opposition gestern ab: „Die Ergebnisse haben ein einziges Ziel: Frau Kraft und Herrn Jäger aus der Schusslini­e zu nehmen“, sagte gestern CDU-Innenpolit­iker Daniel Sieveke. Sein FDP-Kollege Joachim Stamp kam zum gleichen Urteil. Stamp: „Die tatsächlic­he Aufklärung­sarbeit muss jetzt im Untersuchu­ngsausschu­ss geleistet werden.“

Medienberi­chte, denen zufolge Kretschmer wegen einer parallelen Bewerbung um eine Professur an der Uni Bielefeld in einem Interessen­konflikt gestanden habe, dementiert­e Kretschmer. Anders als berichtet sei die Bewerbungs­frist nicht im Januar 2017, sondern schon vor einem Jahr abgelaufen.

„NRW hat das damals ernster genommen als die Behörden in Berlin“

 ?? FOTO: DPA ?? Der Tunesier Anis Amri war im Dezember 2016 auf einem Berliner Weihnachts­markt mit einem Lkw in eine Menschenme­nge gerast. Zwölf Menschen starben.
FOTO: DPA Der Tunesier Anis Amri war im Dezember 2016 auf einem Berliner Weihnachts­markt mit einem Lkw in eine Menschenme­nge gerast. Zwölf Menschen starben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany