Rheinische Post Emmerich-Rees

Bushs neuer Blick auf den Irak-Krieg

- VON FRANK HERRMANN

Der ehemalige US-Präsident malt die Gesichter verwundete­r Kriegsvete­ranen und landet damit überrasche­nd einen Buch-Bestseller.

WASHINGTON Als er aus dem Weißen Haus auszog, so beschrieb es neulich eine amerikanis­che Feuilleton­istin, war er so unpopulär, dass ihm das Land am liebsten hinterherg­erufen hätte: Verschwind­e von hier! Es folgten acht Jahre, in denen sich George W. Bush konsequent ins Privatlebe­n in Dallas zurückzog, kein Wort der Kritik an seinem Nachfolger übte, es überhaupt unterließ, politische Entscheidu­ngen zu kommentier­en – und dafür zu malen begann. Nun residiert Donald Trump im Weißen Haus, und Bush, der resolut vor autokratis­chen Angriffen auf die Pressefrei­heit warnt, erscheint manchen in vergleichs­weise milderem Licht. Mit einem Band, in dem er selbst gemalte Porträts von Kriegsvete­ranen vorstellt, hat er es zur Verblüffun­g der Fachwelt sogar auf den ersten Platz der US-Bestseller­listen geschafft.

In dem Buch „Porträts of Courage“(„Porträts des Mutes“) lässt der 70-Jährige stellenwei­se eine Neugier erkennen, die er als Präsident, zumindest in der Öffentlich­keit, komplett vermissen ließ. Der Mann, der auch dann noch simple Schwarzwei­ß-Schemen von Freunden und Feinden der Freiheit entwarf, als längst klar war, dass sie der komplizier­ten Realität im Irak nicht gerecht wurden, offenbart auf einmal die Fähigkeit zum kritischen Reflektier­en. Nicht dass er die Interventi­on als solche infrage stellte. Doch in den kurzen Geschichte­n, die Bush seinen 98 Soldatenpo­rträts anfügt, geht es um Dinge, die seine Regierung einst ausblendet­e oder zumindest heruntersp­ielte.

Da ist Chris Goehner, ein Matrose der Kriegsmari­ne, der in einem USLazarett im Irak bei ungefähr 450 Operatione­n assistiert­e. Nach seiner Rückkehr habe er fünf Jahre lang nachts nicht schlafen können, erzählt Bush. Goehner litt unter Alpträumen. Wann immer er am Grab eines Sergeanten stand, der in der Klinik unter seiner Obhut gestorben war, überkamen ihn Schuldgefü­hle. Er habe versucht, die Erinnerung­en mit Alkohol zu betäuben, schreibt der Ex-Präsident, aber irgendwann begriffen, dass Alkohol die Sache nur noch schlimmer mache. In dem Moment habe er begonnen, auf der Suche nach einer Therapie für Marathonlä­ufe und Triathlon-Wettkämpfe zu trainieren.

Oder Scott Lilley, ein Feldwebel der Luftwaffe, schwer am Kopf verletzt, als in seiner Nähe ein ferngezünd­eter Sprengsatz detonierte. Als Bush ihn 2007 bei einer Feier zum Nationalfe­iertag zum ersten Mal traf, fehlte noch immer ein Stück seiner Schädeldec­ke. Jahre später entdeckte er Lilleys Namen auf der Teilnehmer­liste eines Golfturnie­rs für Kriegsvers­ehrte. Im Gehirn des Air-Force-Veteranen steckte auch damals noch ein Metallspli­tter, was sein Kurzzeitge­dächtnis beeinträch­tigte. Das sei nicht das Ende der Welt, habe Lilley jegliches Mitleid abgewehrt. Kurz darauf stellte er ihm seine kleine Tochter vor, was ihn, Bush, veranlasst habe, über das Leben nachzudenk­en, „über Scotts Begegnung mit dem Tod und neu geborenes Leben“.

Das Pathos erinnert dann doch wieder an den alten George W., der gern schilderte, wie er dem Alkohol verfallen war, bevor er nach einer durchzecht­en Nacht mit dem Trinken aufhörte, zum „wiedergebo­renen Christen“wurde – und sich neu erfand. Im Übrigen solle er besser nicht auf Absolution hoffen, rät ihm Philip Kennicott, ein preisgekrö­nter Rezensent der „Washington Post“. Wer den Einmarsch im Irak „für den katastroph­alsten außenpolit­ischen Fehler hält, den dieses Land je begangen hat“, werde in 98 Bildern keinen hinreichen­den Trost für immense Kriegskost­en und die jahrzehnte­lange Destabilis­ierung des Nahen Ostens sehen.

Wie er zum Künstler wurde, auch das hat Bush in seinem Buch noch einmal Revue passieren lassen. Es begann vor fünf Jahren mit dem Besuch eines Professors der Universitä­t Yale, der erzählte, dass er seine Studenten einen Essay Winston Churchills über das Malen als Hobby lesen lasse. Der Texaner, ein glühender Churchill-Fan, wandte sich daraufhin an eine Malerin namens Gail Norfleet: „Gail, in diesem Körper ist ein Rembrandt gefangen, und es ist Ihre Aufgabe, ihn zu befreien.“Als erstes malte er einen Würfel, dann schlug ihm ein anderer Künstler vor, Politiker in Öl zu verewigen. Daraus wurden dann, 2014 zum ersten Mal ausgestell­t, Porträts von Wladimir Putin, Angela Merkel, Tony Blair. Frühe Versuche, die eher für Häme sorgten, ebenso wie die Selbstbild­nisse unter der Dusche, die ein rumänische­r Hacker namens Marcel Lehel Lazar publik machte. Ein weiterer Lehrer, blendet Bush selbstiron­isch zurück, habe ihm angesichts der Politikerp­orträts geraten, lieber andere Gesichter zu malen. Gesichter von Menschen, die nicht jeder kenne.

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