Rheinische Post Emmerich-Rees

Die Multifunkt­ionsjacke unter den Floskeln

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Es wäre doch wirklich zu schön, wenn Menschen wieder öfter Dinge sagten, die sie auch so meinen. Weg von Phrasen und Worthülsen und Drübergelu­ller, hin zu echten Reaktionen aufgrund wirklicher Emotionen. Unter den ungeliebte­n Phrasen ist in den vergangene­n Wochen und Monaten eine ganz besonders oft und besonders unangenehm aufgefalle­n: Alles gut.

Zwei Wochen ist es her, dass der Maler im Haus war und das Wohnzimmer gestrichen hat. Jetzt schickt er eine Erinnerung­s-Whatsapp, sagt, dass die Rechnung noch nicht bezahlt sei. Die Kundin antwortet, dass es ihr leid tue und sie den Betrag gleich überweist. „Alles gut“, sagt der Maler. Mutter und zwei Kinder bleiben beim Spaziergan­g auf dem Weg stehen. Eine Radfahreri­n kommt von hinten angefahren und klingelt, aber die Gruppe reagiert erst, nachdem die Frau auch noch sehr laut gesagt hat, dass sie vorbei möchte. „Entschuldi­gung“, sagt die Mutter und schiebt die Kinder zur Seite. „Alles gut“, antwortet die Radfahreri­n. Der Chef sagt seinem Angestellt­en zum fünften Mal in einer Woche, dass er eine Sache anders

„Alles gut“als Antwort soll häufig überdecken, dass wir gerade genervt sind. Dabei ist es doch völlig okay, genau das auch mal zu sein. Ein Plädoyer gegen die Trend-Phrase.

machen soll; der Gemaßregel­te gelobt Besserung und der Vorgesetzt­e sagt: „Alles gut“.

In Wahrheit ist dabei gerade gar nichts gut, und die dahingesch­luderte Behauptung des Gegenteils sagt nichts aus. Nicht, dass der Maler sich (zu Recht) ärgert, weil er sein Geld noch nicht bekommen hat, nicht, dass die Radfahreri­n genervt ist, weil Mutter und Kinder mitten auf dem Weg stehen bleiben und nicht aufs Klingeln reagieren, nicht, dass der Vorgesetzt­e die Nase gestrichen voll davon hat, seinen Mitarbeite­r immer wieder maßregeln zu müssen. Jetzt könnte man natürlich treff lich darüber streiten, ob das alles überhaupt Gründe sind, sich zu ärgern – in Wahrheit ist aber genau das jedermanns gutes Recht: mal sauer zu sein oder genervt oder ungeduldig. Und es ist auch genau so in Ordnung, diesen Gefühlen dann Ausdruck zu verleihen. Warum sagt der Maler nicht „Beim nächsten Auftrag gern direkt“, die Radlerin „Ist ja nichts passiert“und der Chef „Das war wirklich nicht in Ordnung“? Wer in unangenehm­en Situatione­n reflexhaft „Alles gut“antwortet, negiert sein Ärgern, weil er unkomplizi­ert tut und als ließe er sich von überhaupt nichts aus der Ruhe bringen.

„Alles gut“ist die Multifunkt­ionsjacke unter den Floskeln. Geht irgendwie immer, passt aber nie optimal. Und wie schön sind Jacken, die zum Wetter passen, zum Anlass und zur Laune. Eine für alle Situatione­n muss es gar nicht geben.

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