Rheinische Post Emmerich-Rees

„Meine Freundin wird gerade vergewalti­gt“

- VON AXEL SPILCKER

Der Überfall auf ein Camper-Pärchen in der Bonner Siegaue hatte Aufsehen erregt. Während die Frau vergewalti­gt wurde, rief ihr Freund die Polizei. Die Leitstelle schickte sofort Streifenwa­gen, gab aber offenbar keine Verhaltens­tipps.

BONN Die Beamtin der Polizeilei­tstelle in Bonn glaubte erst an einen üblen Scherz. „Hallo, meine Freundin wird gerade vergewalti­gt“, flüsterte der Anrufer, „von einem Schwarzen“. Und zwar in der Siegaue unter einer Brücke. Misstrauis­ch erkundigte sich die Polizistin: „Und da geht jemand ihre Freundin an oder wie?“Aus dem Hintergrun­d drang das Wimmern einer Frau durch den Hörer, begleitet von einer männlichen Stimme. „Er hat eine Machete“, antwortete der Gesprächsp­artner. „Sie wollen mich nicht verarschen, oder?“, hakte die Polizistin nach. „Nein, nein“, erwiderte der Anrufer, der Täter habe eine Riesen-Machete dabei.

„Hm“, entgegnete die Ordnungshü­terin zweifelnd. Panisch versichert­e ihr der junge Mann, er hege Todesängst­e. Er fürchte, dass der Angreifer seine Freundin gleich umbringen werde. Die Polizistin erkundigte sich nach seinem Namen, versprach ihm, die Kollegen zu schicken, verabschie­dete sich mit „Danke, tschö“und hängte ein.

Das Protokoll aus der Bonner Polizeinot­rufzentral­e kurz nach Mitternach­t des 2. April findet sich nach Recherchen unserer Redaktion in den Akten eines bizarren Falles wieder. Der Anrufer, ein Student aus Remchingen in Baden-Württember­g, hatte kein wirres Zeug erzählt. Während der Camper in seinem Zelt in der Siegaue mit der Polizei telefonier­te, fiel ein Mann draußen über seine Freundin her. Griffberei­t hatte er eine Art Machete neben sich liegen. Der Fall erregte enormes Aufsehen in der Öffentlich­keit. Mit einem Phantombil­d fahndete die Polizei tagelang nach dem Vergewalti­ger. Der Boulevard nannte ihn „den Machetenma­nn“.

Sechs Tage später fasste die Polizei den mutmaßlich­en Täter. Es handelt sich um Eric Kwame X., einen abgelehnte­n Asylbewerb­er aus Ghana. Inzwischen hat die Staatsanwa­ltschaft den Sohn eines Plantagenb­esitzers aus Takoradi, der drittgrößt­en Stadt seines Heimatland­es, wegen Vergewalti­gung nebst räuberisch­er Erpressung im besonders schweren Fall angeklagt.

Die siebenseit­ige Anklagesch­rift enthält die Details der Kommunikat­ion zwischen dem Freund des Opfers und der Leitstelle aus jener April-Nacht nicht. Als Patrick B. (Name geändert) den Notruf wählte, muss er sich vorgekomme­n sein wie in einem schlechten Film. Zunächst glaubte man ihm nicht, dann hängte die Polizeibea­mtin schnell ein, ohne ihm weitere Verhaltens­regeln mitzugeben oder sich auch nur näher nach seiner Notlage zu erkundigen.

Die Polizei hatte sofort drei Einsatzwag­en alarmiert, ansonsten aber überließ man Patrick B. sich selbst. Kein Rückruf, kein Interventi­onsgespräc­h. Der Student musste selber zusehen, wie er klar kam. Was sollte er jetzt tun? Raus aus dem Zelt? Den Sex-Täter angreifen? Oder sich ruhig verhalten und warten, bis die Streife kommt? Unschlüssi­g ver-

Frank Piontek harrte Patrick B. im Zelt. Als der Täter nach wenigen Minuten von seinem Opfer abließ und geflüchtet war, rafften der Hochschüle­r und seine Freundin alles zusammen und begannen zu laufen. Nur weg von dort, hin zur Straße. Vielleicht durfte man dort auf Hilfe hoffen.

Wieder wählte der Student die 110 der Notrufzent­rale: „Hallo, hier ist Patrick, ich habe gerade angerufen bei der Kollegin.“Leitstelle: „Worum geht’s denn?“- „Es geht darum, dass meine Freundin vergewalti­gt wurde.“Das sei doch im Bereich Siegaue, nicht wahr? „Genau, und da sind wir weggerannt, weil wir Angst hatten“, so der Student.

Die Leitstelle­nbeamtin übermittel­te dem Anrufer eine Nummer der Polizei in Siegburg. Dort solle sich das Paar hinwenden. „Die können das richtig koordinier­en“, lautete die Begründung. Dann endete das Gespräch. Bald darauf trafen die Camper auf eine entsandte Funkstreif­e. Knapp 20 Minuten nach der Sex-Attacke sprang der Bonner Polizeiapp­arat richtig an.

Nach der Festnahme von Eric X. entdeckten die Ermittler eine gestohlene JBL-Box vom Freund des Opfers. Der Flüchtige hatte das Gerät ins Gebüsch geworfen. Ferner förderte die Durchsuchu­ng seines Zimmers im Wohnheim weitere Beweismitt­el zu Tage. Ein vorläufige­s DNA-Gutachten überführte den Verdächtig­en schließlic­h als mutmaßlich­en Täter. Trotz der erdrückend­en Beweislage bestreitet Eric X. die Vorwürfe. Zur Tatzeit will der 31-Jährige demnach in seiner Unterkunft Joints geraucht haben. Sein Verteidige­r Martin Mörsdorf will „nun die Aktenlage prüfen und die endgültige DNA-Analyse abwarten, ehe wir uns zum weiteren Gang des Verfahrens äußern werden“.

Vorerst werfen die Bonner Leitstelle­n-Protokolle aus der Nacht des 2. April Fragen auf. Zum Beispiel, wie viel Empathie Polizisten aufbringen müssen, wenn der Anrufer meldet, seine Freundin werde gerade draußen vor dem Zelt vergewalti­gt? Reicht es, nur eine Streife zu schicken und dann einzuhänge­n? Nach Kritik in den sozialen Netzwerken am Verhalten des Freundes stellten sich die Bonner Ordnungshü­ter vor Patrick B.. Er habe alles richtig gemacht und nicht eingegriff­en, sondern die Polizei kontaktier­t, hieß es. Was aber, wenn Beamte sol- che Hilferufe so behandeln, als ginge es um eine Ruhestörun­g und nicht um Tod oder Vergewalti­gung?

Frank Piontek, Sprecher der Bonner Polizei, räumte ein, dass die „aufnehmend­e Beamtin in der Leitstelle nach unseren Feststellu­ngen die Umstände des ersten Anrufs zunächst nicht richtig eingeordne­t und sprachlich unangemess­en rea- giert hat“. Auch der zweite Anruf sei im Sinne des Opfers nicht sachgerech­t gehandhabt worden. „Eine andere Bearbeitun­g dieser Notrufe in der Leitstelle hätte das Verbrechen gleichwohl nicht mehr verhindern können“, sagte Piontek. Schon mit Bekanntwer­den der näheren Umstände der Notrufbear­beitung habe die Bonner Polizei „eine interne Nachbereit­ung eingeleite­t, um die Prozesse zu verbessern“.

Eigentlich hätte sich Eric X. gar nicht mehr in Deutschlan­d aufhalten müssen. Weil es nach dem Tod seines Vaters Erbstreiti­gkeiten gegeben hatte, habe Eric X. bei einem Kampf seinen Schwager erschlagen, gab der Angeklagte zu Protokoll. Vor der Rache seiner Stiefschwe­stern sei er geflohen und über Libyen in Italien gelandet. Neun Monate habe er dort in einem Flüchtling­slager verbracht. Mit einer Betreuerin pflegte er ein kurzes Verhältnis, ehe es ihn weiter trieb – gen Norden. In Rom stieg er in einen Zug und landete am 10. Februar in einer Aufnahmeei­nrichtung in Frankfurt/Main. Von da aus ging es nach Sankt Augustin. Gut einen Monat später lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e seinen Asylantrag ab.

Seit jenem 17. März hätte Eric X. abgeschobe­n werden können. Nichts dergleiche­n geschah. Vielmehr schaltete der Angeklagte einen Anwalt ein, der gegen den Bescheid vor dem Verwaltung­sgericht klagte. Wegen Überlastun­g sahen sich die Richter außer Stande, den Fall zeitnah zu entscheide­n.

„Eine andere Bearbeitun­g der Notrufe hätte das Verbrechen nicht mehr ver

hindern können“

Sprecher Polizei Bonn

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FOTO: DPA Mit einem Großaufgeb­ot durchsucht­e die Polizei die Bonner Siegaue nach dem Täter und nach Spuren, die auf ihn hinweisen.

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