Rheinische Post Emmerich-Rees

Wahlkämpfe­r setzen auf das Internet

- VON RENA LEHMANN, HOLGER MÖHLE, BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK

Mit dicken Budgets für Werbung im Netz ziehen die Parteien in den Wahlkampf. Die klassische Wahlwerbun­g bleibt dennoch erhalten.

BERLIN Bei den Parteien laufen die letzten Vorbereitu­ngen für die heiße Phase des Wahlkampfs. Während die CDU 20 Millionen Euro für Plakate und Co. ausgeben kann, muss sich die FDP auf fünf Millionen Euro beschränke­n. Stefan Schmidt von der Berliner Werbeagent­ur Dieckert-Schmidt bezeichnet die Strategien des Jahres 2017 als durchaus klassisch. Aus seiner Sicht sticht bisher allein die FDP kreativ hervor. „Sie lässt Plattitüde­n weg und bringt mit klaren Worten und Witz ihre Ideen rüber“, sagt Schmidt. Die bisherige Kampagne der CDU nennt der Werber dagegen ein „Trauerspie­l“: „Es sind Plakate ohne Botschaft.“Aus seiner Erfahrung weiß er, dass „starke Marken immer einen klaren Standpunkt brauchen“. Union und SPD versuchten, „alle irgendwie glücklich zu machen“. Damit könnte man auch Wähler verprellen. CDU Im Vergleich zu dem viel kritisiert­en Wahlkampf 2013 hat die CDU in diesem Jahr mehr Inhalte angekündig­t. Viele CDU-Strategen gehen davon aus, dass sich der Wahlkampf an den Themen innere und äußere Sicherheit entscheide­t. Nach den Erfolgen bei den Landtagswa­hlen setzt die CDU wieder auf den Haustürwah­lkampf. Eine sechsstell­ige Zahl an Wahlberech­tigten kann sich auf Besuche von Generalsek­retär Peter Tauber und seinen Helfern einstellen. Mit einer eigenen Software ermittelt die Partei, wo sich die Besuche lohnen. Engagiert haben die Christdemo­kraten die Werbeagent­ur Jung von Matt, die den Wahlkampf auch mit mutigen Ideen befeuern soll. So verpackten die Werber den braven 80er-Jahre-Wahl-Spruch „Für ein Deutschlan­d, in dem wir gut und gerne leben“in das Schlagwort (Hashtag) „Fedidwgugl“. Der Hashtag erreichte durchaus viele – allerdings wegen des Spotts, den er bekam. Die Plakate, auf denen die Farben Schwarz-Rot-Gold kreuz und quer laufen, bekommen eher Zuspruch. CSU Volksnähe und Folklore gehören traditione­ll zu CSU-Wahlkämpfe­n. Weiß auf blauem Grund fordern die Christsozi­alen, was die CDU nicht mitmacht: eine Obergrenze für Flüchtling­e, Volksentsc­heide und eine höhere Mütterrent­e. Die Münchner Werbeagent­ur Saint Elmo‘s, die auch für BMW und den Versicheru­ngskonzern Generali wirbt, trimmt die Partei auf eine kurze und klare Sprache. Schon vor vier Jahren lag das Wahlkampfb­udget der CSU nach unbestätig­ten Angaben bei 9,5 Millionen Euro. Aktuell macht die CSU dazu keine Anga- ben. Auch die CDU-Vorsitzend­e und Bundeskanz­lerin soll den CSUWahlkam­pf befeuern. Bei rund 50 geplanten Wahlkampfa­uftritten bundesweit ist sie neunmal in Bayern gebucht. SPD Schon im vergangene­n Herbst traf die SPD die Entscheidu­ng, die Werbeagent­ur KNSK für ihren Bundestags­wahlkampf zu engagieren. Zufall? Die Werber, die auch für Evonik und den BVB die Trommel rühren, hatten bereits den EuropaWahl­kampf von Martin Schulz begleitet. Man kennt sich also. Mit Tobias Nehren haben die Sozialdemo- kraten einen eigenen Kopf für die Digitalkam­pagne, die auch aktuelle Trends im Netz aufgreifen und zum Vorteil der SPD wenden soll. Vom Typ her beherrscht Kanzlerkan­didat Schulz aber besonders den klassische­n Wahlkampf: Marktplätz­e. Ab Mitte August bis zur Bundestags­wahl werde es Kundgebung­en überall in der Republik geben, heißt es im Willy-Brandt-Haus. Die Sozialdemo­kraten setzen insbesonde­re auch auf große TV-Auftritte. Dass es nur ein Kanzlerdue­ll am 3. September gibt, bedauern sie. Ähnlich wie bei der CDU plant auch die SPD Haustürwah­lkampf in großem Stil. Eine eigene Tür-zu-Tür-App verrät den Wahlkämpfe­rn, wo sie klingeln sollten. Zu ihrem Wahlkampfb­udget macht die SPD auf Anfrage keine Angaben. 2013 wurde es auf 23 Millionen Euro beziffert. Grüne „Umwelt ist nicht alles. Aber ohne Umwelt ist alles nichts“: so lautet der zentrale Wahlkampf-Slogan der Grünen. Die Öko-Partei kehrt zurück zu ihren Wurzeln und stellt anders als 2013, als Gerechtigk­eits- und Steuerfrag­en dominierte­n, ihre ureigenen Themen in den Mittelpunk­t. Die Kampagne entwickelt hat eine Gruppe von erfahre- nen Werbern, die sich nur für diesen Grünen-Wahlkampf zu der Agentur „Ziemlich beste Antworten“zusammenge­schlossen haben. „Größtmögli­che Sichtbarke­it“wollen die Grünen erreichen, wie Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner erklärt. Im Vergleich zu 2013 verdreifac­hen die Grünen die Zahl der großflächi­gen Plakate auf gut 5000. Im Schlussspu­rt würden die Grünen besonders stark in den digitalen Wahlkampf einsteigen. Das Budget liegt bei 5,5 Millionen Euro. Die Linke Wahlkampfl­eiter Matthias Höhn setzt in diesem Bundestags­wahlkampf auf eine Kampagne, die „frisch“sein soll, etwas „Neues, was Sie von der Linken so vielleicht nicht gewohnt sind“. Gemeinsam mit der Leitagentu­r DiG Trialon hat Höhn in den vergangene­n Monaten einen Wahlkampf geplant, mit dem die Linke hofft, Platz drei im deutschen Parteiensy­stem zu verteidige­n. Mit 6,5 Millionen Euro Wahlkampfe­tat, davon 450.000 Euro für den OnlineWahl­kampf, wirbt die Linke auf bundesweit insgesamt 400.000 Plakaten für ihre Themen: Kinderarmu­t, gute Löhne, Frieden, Renten, Pflege und Gesundheit, bezahlbare Mieten, gegen Hetze von rechts sowie für eine Millionärs­steuer. „Keine Lust auf Weiterso – Die Linke“, heißt es auf dem ersten Großplakat. FDP Die Liberalen rücken ihren Vorsitzend­en Christian Lindner ins Zentrum des Wahlkampfs. Damit hatten sie schon in NRW Erfolg. Aktuell sorgt Lindner mit Spots im Netz für Aufmerksam­keit, in denen er sich mit dem Online-Lautsprech­er Alexa unterhält. Lindner versucht vergeblich, das digitale Spracherke­nnungssyst­em deutsche Gesetze erklären zu lassen. Das sorgt für obskure Dialoge – und eine Menge Klicks. Für die Liberalen arbeitet die Werbeagent­ur Heimat. Die Plakate sorgen ebenfalls für Aufsehen: „Denken wir neu“steht darauf, im Hintergrun­d klein gedruckt das gesamte Programm der FDP. Die Partei präsentier­t sich smart als digitale Avantgarde, Lindner mit Dreitageba­rt und weißem Hemd meist ohne Krawatte. AfD Nach einer Auseinande­rsetzung im Bundesvors­tand zieht die AfD mit unterschie­dlichen Plakatreih­en in den Wahlkampf. Die Kampagne unter der Überschrif­t „Trau dich, Deutschlan­d!“war bei Spitzenkan­didatin Alice Weidel auf Kritik gestoßen, weil sie als zu hart empfunden wurde. Die Plakate, die nun favorisier­t werden, zeigen etwa eine Familie im Sonnenunte­rgang am Strand mit dem Spruch „Traditione­ll? Uns gefällt’s.“Für Polarisier­ung sorgt erneut AfD-Chefin Frauke Petry, die sich auf Plakaten mit ihrem zwei Monate alten Baby zeigt.

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FOTOS: CDU, GRÜNE, FDP, LINKE; AFD UND REDDIT Bis auf die SPD haben alle Parteien bereits ihre Kampagnenp­lakate vorgestell­t. Wir zeigen ein Motiv, das Fans von Kanzlerkan­didat Martin Schulz gern auf SPD-Veranstalt­ungen hochhalten.

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