Rheinische Post Emmerich-Rees

Wenn die Kirche die Hybris packt

- VON BENJAMIN LASSIWE

Ausgaben, wenige Besucher – die Erwartunge­n von Kirchenver­tretern an das Lutherjahr wurden bislang nicht erfüllt. Leere Ausstellun­gen und volle Dorffeste zeigen: Ein wenig Demut hätte den Veranstalt­ern gutgetan.

WITTENBERG Die Musik ist sehnsuchts­voll, südamerika­nisch. Auf dem Marktplatz vor dem Alten Rathaus in der Lutherstad­t Wittenberg steht eine kleine Bühne, eine Musikgrupp­e aus Chile tritt dort auf. Davor stehen Bierzeltbä­nke in der Sonne. Drei Personen haben darauf Platz genommen. Und im Schatten des Lutherdenk­mals stehen einige Wittenberg­er, die vor einer Sitzung des Stadtrats für eine Hundeausla­uffläche demonstrie­ren wollen. Ansonsten aber ist der Platz leer. Trauriger Alltag in der Stadt, in der Deutschlan­ds Protestant­en derzeit ihr Reformatio­nsjubiläum feiern.

70.000 Eintrittsk­arten hat der Veranstalt­er, der Verein Reformatio­nsjubiläum, für die noch bis Anfang September laufende „Weltausste­llung Reformatio­n“bislang verkauft. Erwartet worden waren 500.000 Gäste. Rund 20 Millionen Euro hat die Kirche für die Ausstellun­g ausgegeben. Herausgeko­mmen ist der größte Flop des Jubiläumsj­ahres. Denn tatsächlic­h haben seit Jahresanfa­ng erst 280.000 Menschen die Wittenberg­er Schlosskir­che besucht, an deren Tür Martin Luther seine 95 Thesen angeschlag­en haben soll. Anders sieht es außerhalb der Kirchenmau­ern aus: Seit Oktober 2016 besichtigt­en 250.000 Besucher das sehenswert­e Luther-Panorama des Künstlers Yadegar Asisi. Zu Recht spricht das Land Sachsen-Anhalt deswegen von einem „TourismusB­oom“, die Zahl der Übernachtu­ngen in den ersten fünf Monaten des Jahres stieg um 12,5 Prozent. Die Besucherza­hl in Luthers Geburts- und Sterbehaus in Eisleben wuchs sogar um mehr als 150 Prozent, alle Lutherstät­ten zusammen verzeichne­ten bis Ende Juni 140.000 Besucher.

Luther interessie­rt die Menschen also – doch die kirchliche­n Veranstalt­ungen bleiben leer. Die von Kirchenver­tretern im Vorfeld geschürten Erwartunge­n haben sich nicht erfüllt. Schon die „Kirchentag­e auf dem Weg“, bei denen pa- rallel zum Berliner Kirchentag in einer Reihe von mitteldeut­schen Städten Programm angeboten wurde, erwiesen sich als Reinfall. 50.000 Menschen waren in Leipzig erwartet worden, es kamen 15.000. Hätte man auf dieses Experiment verzichtet und wären alle Besucher aus Mitteldeut­schland zum Berliner Kirchentag gereist, wäre es eines der größten Protestant­entreffen der jüngeren Geschichte geworden.

Doch während auf dem Kirchentag selbst Bescheiden­heit gepredigt und ein Ende des unbegrenzt­en Wirtschaft­swachstums gefordert wurde, erlag die Kirche der alten Sünde der Hybris, des Übermuts. Statt die Feierlichk­eiten auf ein gesundes Maß zu begrenzen, mussten sie immer größer werden – und das ging schief.

Zumal auch die praktische Durchführu­ng an vielen Stellen unprofessi­onell, ja stümperhaf­t wirkt. Zum Beispiel die Werbekampa­gne: Zeichentri­ckfiguren, die Fragen stellen wie „Wie kommt das Himmelblau ins Alltagsgra­u?“, animieren nicht unbedingt zu einer Reise nach Wittenberg. Und wer im Jahr eines Kirchentag­s erst in Berlin war und dann noch einen Sommerurla­ub am Mittelmeer plant, steht vor der Frage: „Wie viele Urlaubstag­e ist mir meine Kirche wert?“, wenn er nun auch noch nach Wittenberg eingeladen wird.

Da ist es gut, dass die evangelisc­he Kirche in diesem Jahr Rekordeinn­ahmen bei den Kirchenste­uern zu verzeichne­n hat: Denn die Veranstalt­er der „Kirchentag­e auf dem Weg“und der „Weltausste­llung Reformatio­n“haben mit gewissen Ticketeinn­ahmen kalkuliert. Es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass am Ende des Jahres noch Geld nachgescho­ssen werden muss.

Die Evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d (EKD) jedenfalls wird das Lutherjahr bei ihrer Synode im November in Bonn gründlich analysiere­n müssen. Vor allem die Frage, wann und an welcher Stelle man die eine oder andere Veranstalt­ung besser abgesagt hätte, sollte dabei eine Rolle spielen. Denn es sind einzelne Veranstalt­ungen, um die es hier geht – insgesamt ist das Lutherjahr keineswegs ein Flop: Auf der Weltebene etwa gab es einen kirchenhis­torisch einmaligen Buß- und Versöhnung­sgottesdie­nst, den Papst Franziskus mit den Spitzen des Lutherisch­en Weltbundes im schwedisch­en Lund feierte. Erst kürzlich unterzeich­nete der Reformiert­e Weltbund die gemeinsame Erklärung zur Rechtferti­gungslehre, auch das war ein kirchenhis­torisches Ereignis. Und jenseits der großen Scheinwerf­er, in vielen Kirchengem­einden vor Ort, laufen gut besuchte Vorträge und Diskussion­srunden.

Auch die Landeskirc­hen melden Erfolgspro­jekte, zum Beispiel das Nordkirche­nschiff: Die evangelisc­h-lutherisch­e Landeskirc­he in Norddeutsc­hland hatte sich gegen eine personalin­tensive Teilnahme an der Weltausste­llung entschiede­n. Stattdesse­n setzt man auf die klassische Bädertourn­ee: Seit Ende Juni segelt eine alte Dreimastba­rk die Häfen an der Küste ab. Verdiente Ehrenamtli­che dürfen als Belohnung mitfahren, in den Häfen organisier­en die Kirchenkre­ise Feste und Gottesdien­ste. Wenn die Menschen nicht nach Wittenberg, zur Reformatio­n, fahren, kommt die Reformatio­n eben zu den Menschen. 380.000 Euro hat die Nordkirche für dieses Projekt ausgegeben, 30.000 Menschen werden zum Projektend­e am 30. Juli das Schiff besucht haben. Ein altes Segelschif­f macht die Menschen eben neugierig und lockt selbst Kirchenfer­ne an.

Im Rheinland indes muss man für eine wichtige Veranstalt­ung noch kräftig werben. Für den 16. September laden der Deutsche Evangelisc­he Kirchentag und der Katholiken­tag unter dem Motto „Wie im Himmel, so auf Erden“zu einem hochkaräti­g besetzten ökumenisch­en Fest nach Bochum ein. Man darf nach den Erfahrunge­n aus Wittenberg gespannt sein, ob es die Christen im Ruhrgebiet und entlang der Rheinschie­ne in ökumenisch­er Verbundenh­eit schaffen, dieses Fest zu einem Erfolg werden zu lassen. Im Jahr des Lutherjubi­läums würde man es ihnen wünschen.

Die Feierlichk­eiten mussten immer größer werden – und das ging schief

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