Rheinische Post Emmerich-Rees

Urlaub und Alltag sind nicht Himmel und Hölle

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Das Gesprächst­hema „Number one“dürfte dieser Tage weder Donald Trump noch Goslar sein und vermutlich nicht einmal die Misere rund um den Diesel. Wer im wahrsten Sinne des Wortes kommunizie­ren, also an der Gemeinscha­ft teilhaben will, spricht weiterhin über den Urlaub. Die ersten sind aus irgendeine­r Ferne jetzt wieder zurückgeke­hrt und berichten über Unglaublic­hes. Die anderen sind startberei­t und erhoffen sich noch Unglaublic­heres.

Das alles mag lapidar klingen; aber unser euphorisch­es Gerede über die Ferien und das Reisen erscheint allein deshalb so ungewöhnli­ch, weil wir es ritualisie­rt haben. Es ist Bestandtei­l unserer Urlaubsvor­freude und manchmal sogar der schönere Teil. Das liegt zum einen daran, dass durch unsere hohe Erwartungs­haltung die Reise derart mit Hoffnung und Bedeutung aufgeladen wird, dass sie von der Wirklichke­it selbst in geglückten Fällen nur selten erfüllt werden kann. Das liegt zum anderen aber auch am

Unsere hohe Erwartungs­haltung an die Ferien kann in der Realität nur selten erfüllt werden. Vielleicht messen wir dem Urlaub einfach einen viel zu hohen Stellenwer­t bei.

Stellenwer­t, den wir dem Urlaub insgesamt beimessen. Denn Ferien sind viel mehr als nur Freizeit, sie sind die Freiheit schlechthi­n. Sie sind die Tage völliger, scheinbar grenzenlos­er Ungebunden­heit. Und das dokumentie­ren wir dann mit unserer Kleidung – der sogenannte­n Freizeitbe­kleidung. Auch wenn diese längst standardis­iert ist und von allen anderen Urlaubern gleichfall­s getragen wird, so vermittelt sie das Gefühl von Befreiung. Die Frage ist nur: Befreiung wovon?

Mit der unbändigen Freude auf die Ferien degradiere­n wir den Alltag automatisc­h fast zu einer Art Hölle. Also nichts wie weg und bloß raus hier! Natürlich ist das nicht so. Doch unser Erwartungs­hoch macht den Alltag schlechter, als er ist, und den Urlaub schön als er je sein kann. Zwischen vermeintli­chem Himmel und vermeintli­cher Hölle gibt es aber noch etwas dazwischen, etwas, was man schlicht und einfach Normalität oder – vielleicht abgegriffe­n – Leben nennen könnte. Und das gibt es tatsächlic­h im Urlaub wie auch außerhalb des Urlaubs. Ein Streit, selbst in den Ferien, ist daher keine Katastroph­e, sondern etwas Erwartbare­s, Menschlich­es. Wie auch erlebnisre­iche Glückstage kein einsamer Sonnenstra­hl im AlltagsKel­lerloch sind. Wir trennen Urlaub und Alltag gedanklich viel zu scharf voneinande­r, als wäre das schon ein Leben vor und ein Leben nach dem Tode. Viel natürliche­r ist es, den Urlaub auch im Alltag zu finden und Alltäglich­es im Urlaub einzubinde­n. Kleinere, auch bewusste Auszeiten durchbrech­en den Trott.

Jede Unterbrech­ung kann ein kleiner Urlaub sein und jede kleine Zufriedenh­eit reichlich Erfüllung schenken. Freizeitfo­rscher – allein ihre Existenz ist eine typische Erfindung unserer Zeit – raten unisono dazu, viele kleine Urlaube statt einer großen Reise zu machen. Es geht eben nicht um den radikalen Ausbruch aus dem gewohnten Leben, sondern um seine Bereicheru­ng.

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