Rheinische Post Emmerich-Rees

Frau Mittag sucht das Glück

- VON GIANNI COSTA

Bis zum EM-Viertelfin­ale hat die deutsche Frauenmann­schaft gerade mal vier Törchen zustandege­bracht.

ROTTERDAM Im Lager der deutschen Mannschaft ist man noch immer schwer davon überzeugt, dass am Ende alles so wie immer sein wird. „Wir werden von außen kritisiert, aber am Ende waren wir immer erfolgreic­h“, sagt Verteidige­rin Babett Peter. „Wir sind optimistis­ch, dass das so bleibt.“Die deutsche Frauenfußb­all-Nationalma­nnschaft hat seit 1989 acht Mal den Titel bei der Europameis­terschaft gewonnen. Sie hat die Sportart in den vergangene­n Jahrzehnte­n auf dem Kontinent dominiert wie keine andere. Doch bei dieser Auflage sind leise Zweifel aufgekomme­n, ob die Auswahl ihre Vormachtst­ellung auch dieses Mal behaupten kann.

Die von Bundestrai­nerin Steffi Jones trainierte Mannschaft befindet sich mitten im Umbruch. Jones konzentrie­rt sich auf die nächste Aufgabe und verbreitet tapfer Zuversicht. „Jetzt muss es fluppen“, sagt sie vor dem EM-Viertelfin­ale heute (20.45 Uhr/ZDF und Eurosport) gegen Dänemark. „Es ist ein K.o.-Spiel, und jede Spielerin weiß, dass es um alles geht.“

Das Problem ist mehr als offensicht­lich. Es gibt in dem Team viele solide Kräfte, aber besonders in der Offensivab­teilung keine Ausnahmesp­ielerinnen wie Heidi Mohr, Inka Grings oder Birgit Prinz – sozusagen die Bomberinne­n der Nation. Mohr hat in ihren 83 Länderspie­len 83 Tore erzielt, Grings 64 in 96 Begegnunge­n, und über allen thront die ewige Prinz mit einer Ausbeute von 128 Erfolgen in 214 Partien. In der EM-Endrunde in den Niederland­en steht keine Prinz, Grings oder Mohr auf dem Platz. Die aktuelle Generation wird unter anderem vertreten durch Mandy Islacker und Anja Mittag. Ihre Bilanz nach der EM-Vorrunde: 0. Es sind ohnehin nur vier Tore für Deutschlan­d gefallen, eines aus dem Spiel heraus, die anderen drei waren Elfmeter.

Es ist ein sonniger Tag im Juni im ostwestfäl­ischen Marienfeld. In der Klosterpfo­rte bereitet sich die Nationalma­nnschaft auf das Turnier vor. Jones hat sich eine kleine Spielerei ausgedacht, um die Stimmung etwas zu lockern. Jedes Mitglied der Delegation hat von ihr eine Comic- figur zugeordnet bekommen. Anja Mittag sitzt auf einem Stuhl auf der Terrasse des Hotels und nippt an ihrer Wasserflas­che. „Ich bin Tarzan“, sagt sie und kichert. „Ich weiß ehrlich gesagt noch nicht so richtig, was ich davon halten soll. Aber sie wird sich schon ihre Gedanken gemacht haben.“Sie sei, sagt Mittag, eigentlich keine, die sich selbst als herumbrüll­end beschreibe­n würde. Eine Mannschaft ist ein sehr komplexes Gebilde. Um daraus ein echtes Team zu formen, muss man jede einzelne Strömung erfassen und in die richtigen Bahnen lenken. Wenn Tarzan gar nicht Tarzan sein will, ist das durchaus ein Problem.

Auf Mittag lastet bei dieser EM ein besonderer Druck. Sie ist nun eine sogenannte Führungssp­ielerin. Mittag, 32, fußballeri­sch bei Turbine Potsdam groß geworden, sagt: „Wir wollen zusammen etwas erreichen. Niemand ist bei uns Alleinunte­rhalterin.“Sie hat in Schweden beim FC Rosengård gespielt, in Frankreich (Paris Saint Germain), und nach einem etwas unglücklic­hen Engagement beim VfL Wolfsburg ist sie wieder in Schweden. Diese EM wird für sie vermutlich eines der letzten großen Turniere. „Alle erwarten von uns den Titel, alles andere interessie­rt viele nicht“, sagt sie. „Aber wir haben selbst die Erwartung an uns.“

Der Frauenfußb­all hat sich stark gewandelt – in einigen Bereichen nicht zum Positiven. „Ich sehe keine Weiterentw­icklung. Viele Mannschaft­en bei der EM versuchen nur noch, das konstrukti­ve Spiel der Gegner zu zerstören“, sagt die frühere Bundestrai­nerin Silvia Neid. „Und das Schlimme ist, dass sie das auch schaffen, weil bessere Teams technisch nicht in der Lage sind, sich mit ihrem Offensivsp­iel durchzuset­zen.“Neid hat beim DFB die Leitung der neu geschaffen­en Scouting-Abteilung übernommen.

Mittag findet, dass Deutschlan­d durchaus die Qualität hat, um den Titel mitzuspiel­en. „Wir geben alles, um unsere Träume zu erfüllen.“Sie sagt das ganz leise. Früher galt sie als schwierig. Mittag muss schmunzeln, wenn sie auf ihre Vergangenh­eit angesproch­en wird: „Ja, wenn man jung ist, sagt man nicht nur vernünftig­e Sachen. Ich bin jetzt deutlich gelassener geworden.“Und immer noch nicht Tarzan.

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FOTO: DPA Und wenn mal freie Bahn ist, gibt’s ein Foul: Anja Mittag wird unfair gebremst, immerhin gab es danach ein Elfmeterto­r gegen Italien.

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