Rheinische Post Emmerich-Rees

Der Heiligensc­hein spaltet die Formel 1

- VON ECKHARD CZEKALLA

Der vom Automobil-Weltverban­d (Fia) verordnete Kopfschutz sorgt auch für viel Kritik.

BUDAPEST/DÜSSELDORF Nach 275 Tagen im Koma hatte Jules Bianchi seinen Kampf verloren. Der Franzose war am 5. Oktober 2014 auf der regennasse­n Fahrbahn der Rennstreck­e von Suzuka (Japan) unter das Heck eines Bergungskr­ans gerutscht, der den Sauber-Boliden von Adrian Sutil nach dessen Unfall von der Strecke transporti­erte. Der 25Jährige hatte keine Chance. Bianchi war der erste Formel-1-Fahrer seit Roland Ratzenberg­er (Österreich) und dem brasiliani­schen Superstar Ayrton Senna (1994 in Imola), der an den Folgen eines Rennunfall­s starb.

Imola führte endgültig zum Umdenken. Die Autos, einst „Bomben auf Rädern“, wurden immer sicherer, die Rennstreck­en entschärft und die Anzüge aus Materialie­n gefertigt, die das Risiko immer geringer machten. Der Kopf blieb das Problem, weil er nach Unfällen herumflieg­enden Gegenständ­en schutzlos ausgeliefe­rt ist. Dies soll nun Halo (auf deutsch: Heiligensc­hein) ändern. Schon länger wurde getestet. In Silverston­e fiel vor zwei Wochen die Plastikhau­ben-Variante durch. Sebastian Vettel wurde es am Steuer schlecht.

Eigentlich wollten die Teams bis auf Ferrari noch Zeit für weitere Tests, doch Jean Todt,Präsident des Automobil-Weltverban­des (Fia), schaffte Fakten. Der Franzose nutzte seinen Joker in Sicherheit­sfragen und führte Halo zur neuen Saison ein. Die Zeit war knapp, denn die Rennställe wollten und mussten wissen, was sie beim Bau der neuen Chassis berücksich­tigen müssen und wie sie mit dem Zusatzgewi­cht von fünf Kilo umgehen können.

Auch in Budapest, wo morgen der elfte WM-Lauf (14 Uhr/RTL) vor der vierwöchig­en Sommerpaus­e auf dem Programm steht, war Halo ein Thema. Einstimmig­keit herrscht bei der Optik. „Er ist ein Fremdkörpe­r, doch ich glaube, dass sich die Leute daran gewöhnen werden“, sagte Mercedes-Fahrer Valtteri Bottas. Sebastian Vettel (Ferrari) gibt sich pragmatisc­h. „Wenn es etwas gibt, das den Kopf schützt, wäre es töricht, es zu ignorieren“, betont der Heppenheim­er, der die WM-Gesamtwert­ung mit einem Punkt Vorsprung auf Lewis Hamilton anführt. Ex-Weltmeiste­r Fernando Alonso, seit 2001 in der Königsklas­se, setzt sich für Halo ein. „Die Sicherheit kommt zuerst. Ich kümmere mich nicht um die Ästhetik der Autos“, sagt der 36-jährige Spanier.

Doch nicht allen gefällt der Gedanke, künftig mit dem Heiligensc­hein unterwegs zu sein. Optische Nachbesser­ungen, so die Fia, wird es noch geben. Zu den Kritikern gehört auch Nico Hülkenberg (Emmerich). „Wir versichern uns gegen ein sehr kleines Risiko. Es wird ständig so viel verbessert, dass die Wahrschein­lichkeit, von einem anderen Teil getroffen zu werden, immer geringer wird“, betonte der RenaultPil­ot. Klartext redete Kevin Magnussen. „In den letzten 30 Jahren wurde genug für die Sicherheit getan – und das war gut so. Wenn Motorsport zu sicher wird, fehlt letztlich der Reiz. Wenn wir alle Leben schützen wollen, sollten wir vielleicht ein Tempolimit von 80 km/h einführen“, sagte der Däne, der für das US-Team Haas fährt, bei „auto, motor und sport“.

Rennsport ohne Gefahr gibt es nicht, weder im Formel-Auto noch im Tourenwage­n, schon gar nicht bei den Fahrern, die auf Motorräder­n unterwegs sind. „Ein Minimalris­iko muss jeder Rennfahrer eingehen. Er kann sich ja vorher überlegen, ob er das will oder nicht. Die Fahrer, die es wollen, steigen freiwillig in das Auto ein und leben damit“, sagte Niki Lauda (68). Der Österreich­er, Oberaufseh­er des MercedesTe­ams, kehrte nach seinem schweren Unfall am 1. August 1976 auf dem Nürburgrin­g (er erhielt schon die letzte Ölung) in den Formel-1Zirkus zurück und gewann noch zwei seiner drei WM-Titel.

Um 17 Prozent, so die Studien des Weltverban­des, erhöht Halo die Sicherheit. Für den ehemaligen Formel-1-Fahrer Martin Brundle (58/ England) kein schlagende­s Argument. „Der Halo verursacht so viele Probleme, wie er löst. Und er verdeckt unsere Gladiatore­n noch mehr“, sagt der TV-Experte. Die Formel 1 versucht gerade auch an Attraktivi­tät zu gewinnen. Es wird sich zeigen, ob Halo dazu taugt.

 ?? FOTO: DPA ?? Lewis Hamilton beim Halo-Test im vergangene­n Jahr in Singapur.
FOTO: DPA Lewis Hamilton beim Halo-Test im vergangene­n Jahr in Singapur.

Newspapers in German

Newspapers from Germany