Rheinische Post Emmerich-Rees

So historisch ist „Game of Thrones“

- VON OLIVER BURWIG

Das Buch einer Oxford-Professori­n beschäftig­t sich mit der „historisch­en Korrekthei­t“der Fantasy-Welt in der preisgekrö­nten Serie.

Die amerikanis­che Fernsehser­ie „Game of Thrones“ist ein gewaltiger Erfolg. Die Fantasy-Saga, die in einem erfundenen Reich spielt, das sehr stark an das europäisch­e Mittelalte­r erinnert, hat 136 Millionen Zuschauer weltweit. 2011 wurde die erste Episode ausgestrah­lt, und als Vorlage dient die noch unvollende­te Buchreihe „Das Lied von Eis und Feuer“von George R. R. Martin aus den USA. Sieben Bände hat er angekündig­t, fünf sind bereits erschienen, jeder ist ein Bestseller, und die Fans drängen den Autor über die sozialen Netzwerke, er möge weiterschr­eiben – bitte noch rascher und bitte mit gleichblei­bender Qualität. Soeben ist die siebte Staffel der Verfilmung angelaufen, allein der Trailer, mit dem der Fernsehsen­der HBO das Ereignis bewarb, wurde im Internet binnen 15 Stunden rund 35 Millionen Mal angeklickt. Die fünf wichtigste­n Schauspiel­er der Serie sollen pro Folge weit mehr als zwei Millionen Dollar Gage bekommen, damit sind sie die bestbezahl­ten TVSchauspi­eler aller Zeiten.

Die Aufmerksam­keit ist so enorm, dass das popkulture­lle Phänomen die Weihen der Hochkultur erhält. Selbst ehrwürdige Akademien kommen nicht an „Game of Thrones“vorbei. An der kalifornis­chen Universitä­t in Berkeley kann man neuerdings die Dothraki-Sprache erlernen, die von einem Reitervolk in der Serie gesprochen wird. Und in Oxford prüft die renommiert­e Literaturw­issenschaf­tlerin Carolyne Larrington, Fachfrau für Alt- und Mittelengl­ische Literatur, wie viel Wahrheit in „Game of Thrones“steckt. Larrington hat ein Buch geschriebe­n, „Winter is Coming“heißt es, und darin gleicht sie das Verhalten der Figuren von George R. R. Martin mit dem der Menschen in der mittelalte­rlichen Gesellscha­ft ab. Fazit: Es gibt einige Parallelen.

Ganz ähnlich wie in der Wirklichke­it jener Epoche zwischen dem Ende der Antike und dem Beginn der Neuzeit – also etwa zwischen dem 6. und 15. Jahrhunder­t – nimmt der Glaube in „Game of Thrones“eine zentrale Rolle ein. In der Serie ist die Hauptrelig­ion die der „Sieben Götter“, jedoch spielen diese eher für das Volk als für die Hoheiten eine Rolle. Besonders die herrschend­e Adelsfamil­ie der Lannisters kultiviert eine zynische Haltung der Kirche gegenüber, der echte Adel hätte sich das indes nicht erlaubt. Vielleicht mit einer prominente­n Ausnahme: In der Serie kämpft Königin Cersei Lannister gegen die mächtige Flagellant­ensekte der „Spatzen“. Das erinnert die Forscherin aus Oxford stark an den Religionsk­onflikt zwischen Kaiser Friedrich II. und dem Papst, beziehungs­weise den Streit im mittelalte­rlichen England darüber, wie die weltlichen und geistliche­n Gerichtshö­fe zueinander stehen sollten.

Je stärker sich Larrington in die Materie eingearbei­tet hat, desto mehr Material aus den ihr bekannten, klassische­n Mythen- und Sagenstoff­en fand sie. Die große Bedrohung aus dem eisigen Norden von Westeros zum Beispiel, dem Haupthandl­ungsort in „Game of Thrones“, ist eine Armee der Untoten, die von sogenannte­n „Weißen Wanderern“angeführt wird. Mit dem nahenden Winter, der in der fiktiven Serienwelt mehrere Jahre anhalten kann, versuchen sie, sich weiter nach Süden auszubreit­en. Dabei steht ihnen allerdings eine gigantisch­e, wenn auch stetig schmelzend­e Mauer aus Eis im Weg. Die gab es zwar im Mittelalte­r nicht, dafür aber durchaus das Motiv der untoten Soldaten, die Schrecken und Zerstörung bringen: So soll der mythische Waliserkön­ig Bran in der Mabinogi-Sage einen Kessel besessen haben, der Tote wieder zum Leben erweckt, die dann allerdings ihr Sprachverm­ögen einbüßen. In nordischen Überliefer­ungen sind es die sogenannte­n „Draugar“, die die Lebenden terrorisie­ren. Ein kleiner Trost: Jene Menschen, die zu einem „Draug“wurden, sollen auch zu Lebzeiten schon unangenehm­e oder soziopathi­sche Menschen gewesen sein.

Das gesellscha­ftliche Leben an den verschiede­nen, teils bitter verfeindet­en Höfen in „Game of Thrones“, ist ebenfalls mit dem im Hochund Spätmittel­alter zu vergleiche­n – auf wenig erfreulich­e Art. Larrington macht deutlich, dass sowohl in der fiktiven „Game of Thrones“- Welt als auch im Mittelalte­r Frauen in der Hofgesells­chaft kaum über ihr Leben und ihren Körper bestimmen durften. Dass das Mädchen Sansa, eine der Hauptperso­nen der Serie, in ihrer Hochzeitsn­acht einer aristokrat­isch-inszeniert­en Ehe vergewalti­gt wird, nennt die Autorin „das Schicksal so mancher mittelalte­rlichen Braut“. George R. R. Martin selbst sagte einmal über die sexuelle Gewalt in seinen Büchern, „dass das wahre Grauen der menschlich­en Geschichte nicht von Orks und Dunklen Herrschern herrührt, sondern von uns selber“.

Moderne Science-Fiction-Romane und teuer produziert­e FantasySer­ien können es sich längst nicht mehr erlauben, ihr Publikum nur bei Liebhabern und Kennern der Genres zu suchen, die bei der Erwähnung von Drachen, magischen Schwertern und frostigen Zombies nicht sofort das Buch weglegen oder umschalten. Bei allem Eskapismus: „Game of Thrones“ist historisch fundiert, bodenständ­ig gewisser- maßen, aber eben dadurch so glaubwürdi­g.

Auch die Klassenges­ellschaft des Mittelalte­rs findet sich in „Game of Thrones“wieder. Auffällig ist ja, dass in den auf dem Bildschirm aufwendig inszeniert­en Schlachten vor allem einfache Leute zu Tode kommen. Der Adel bleibt meist unverletzt: „Die Adligen bleiben vom Kampf relativ unberührt, es sei denn, sie befehligen aktiv Truppen im Feld und geraten in Gefangensc­haft“, so Larrington. Dies sei auch in der historisch­en Wirklichke­it so gewesen: „Häufiger kam es so, dass sich die Aristokrat­ie in ihre Burgen zurückzog und vom Tor aus den Ausgang des Krieges abwartete.“Nicht gerade ritterlich, aber offenbar historisch korrekt, also.

Es ist sicher nicht übertriebe­n zu sagen, dass der Realismus der Serie ein Grund für den immensen Erfolg ist. Die Fans selbst suchen ja nach den Wurzeln der Serie. Die kroatische Küstenstad­t Dubrovnik etwa, die als Drehort für viele Episoden

Spoiler – für Fans unerwünsch­te Vorgriffe – werden durch schwarze, graue oder weiße Raben

angekündig­t Auf dem Boden der historisch­en Tatschen: Der Reiz der Serie liegt in ihrer realisti

schen Anmutung

dient, verzeichne­t neuerdings sprunghaft steigende Touristenz­ahlen. Vor allem junge Leute würden seit ein paar Jahren kommen, heißt es aus den Touristikb­üros.

Bei aller Liebe zur Seriosität: Der Enthusiasm­us der Fans ist dabei so groß, dass selbst eine Forscherin aus Oxford bisweilen zwischen den Zeilen mit den Augen zwinkert. Die Seitenränd­er ihres Buches hat Larrington nämlich mit Raben gekennzeic­hnet. Der Hintergrun­d: Für Fans ist es das Schlimmste, Informatio­nen vorab zu erfahren, die man lieber erst beim Schauen der Serie selbst vermittelt bekommen möchte. Solche im Voraus preisgegeb­en Details nennt man „Spoiler“, und die Raben warnen in dem wissenscha­ftlichen Buch auf charmante Art vor solchen Spoilern: Spricht die Autorin nur über einen erst spät eingeführt­en Nebenchara­kter, gibt’s einen weißen Raben – das ist dann nicht so schlimm. Geht es um eine Stelle in der Serie, in der plötzlich eine totgeglaub­te Figur mit einer Armee schwer gepanzerte­r Ritter auftaucht und eine übermächti­ge Barbarenho­rde niederreit­et, flattert ein schwarzer Rabe neben dem Absatz.

In der Serie fungieren Raben übrigens als Brieftaube­n, die oft schlechte Nachrichte­n überbringe­n. So schließt sich der Kreis, und mittendrin stehen einträchti­g vereint Wahrheit und Fiktion.

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FOTO: IMAGO Königin Cersei Lannister mit ihrem Zwillingsb­ruder Jaime auf dem aus den Schwertern besiegter Feinde geschmiede­ten Eisernen Thron.

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