Rheinische Post Emmerich-Rees

Das Leben in der Bibliothek

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Mittagspau­se. Ein kurzer Blick aufs Handy. Ich scrolle durch die Liste meiner WhatsApp-Kontakte. „Stay strong“, lautet ein Status, „Never give up“ein anderer. Die Zeit der Motivation­ssprüche ist angebroche­n, die Zeit, in der wir kurzfristi­g zu Experten auf einem Teilgebiet der Wissenscha­ft werden: Die Klausuren oder Hausarbeit­en stehen an. Und das nehmen immer wieder einige Studierend­e zum Anlass, sich von der Außenwelt abzukapsel­n. Ein Programm blockiert Facebook, das Handy bleibt einsam im Bibliothek­sspind zurück. Bloß keine Ablenkung.

Andere verlieren immerhin nicht ganz den Anschluss zur Realität. Aber abends wegzugehen und sich mit Freunden zu treffen, das ist selbstvers­tändlich nicht erlaubt. Sonst verliert der gerne geäußerte Satz „Ich lebe gerade in der Bib“, sofort an Authentizi­tät. Die einzige Gelegenhei­t, sich legal vom Lernstoff abzulenken, bietet die obligatori­sche Lern- und Kaffeepaus­e. Endlich kann man wieder den neuesten Klatsch und Tratsch aufsaugen oder selbst erzählen. Und auch ohne Gesprächsp­artner lässt sich einiges erfahren: Man kann einfach zuhören und genießen, wenn in entspreche­nder Lautstärke dramatisch­e Beziehungs­probleme oder das Verhalten von Kommiliton­en diskutiert werden. Zu Recht wird auf die Studierend­en geschimpft, die Seiten mit den für sie relevanten Informatio­nen aus beliebten Bibliothek­sbüchern reißen. Kein neues Vergehen, aber immer wieder ärgerlich.

Neu und bisher ungeschlag­en in der Bestenlist­e der Pausen-Erzählunge­n ist aber die Geschichte über den Mitbewohne­r, der „für ein Projekt“eine tote Ratte in den WGKühlschr­ank legte. Sie blieb dort nur ein paar Minuten liegen, als Model für ein kurzes Fotoshooti­ng. Die entstanden­en Fotos mussten selbstvers­tändlich in der WG-eigenen WhatsApp-Gruppe geteilt werden. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Und meine eigene Reaktion auf diese Geschichte zeigt: Zweck erfüllt, Ablenkung definitiv gelungen.

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