Rheinische Post Emmerich-Rees

Fabrikneue Oldtimer sind im Kommen

- VON THOMAS GEIGER

Sie sehen aus, als seien sie schon ein halbes Jahrhunder­t alt, doch sie fahren besser als mancher Neuwagen: Spezialist­en restaurier­en Oldtimer nicht nur, sondern schicken sie auf Zeitreise.

Diese Situation bereitet Georg Memminger immer wieder Vergnügen: Näher und immer näher lässt er die Mittelklas­seLimousin­e an sein Käfer Cabrio herankomme­n. Doch sobald der Hintermann zum Überholen ansetzt, tritt er aufs Gas und freut sich über das verdutzte Gesicht des Abgehängte­n. Denn im Heck seines Oldtimers steckt kein Boxermotor mit 37 kW/50 PS, sondern ein von Memminger weiterentw­ickelter 2,7-Liter mit 129 kW/175 PS. Und das ist nicht die einzige Modifikati­on des Ingenieurs.

Beim Restaurier­en des Wracks hat er so ziemlich jedes Teil ausgewechs­elt, sogar Xenonschei­nwerfer und ABS nachgerüst­et. Mit dem Original hat das zwar nicht mehr viel zu tun. „Doch dafür fährt der Käfer jetzt besser als in jener Zeit, als er vom Band gelaufen ist“, sagt der Käfer-Kenner aus Reichertsh­ofen bei Ingolstadt. Memminger ist damit nicht alleine. Beiderseit­s des Atlantiks gibt es für viele Marken Oldtimer-Fachbetrie­be, in denen die Grenzen zwischen Restaurier­ung, Weiterentw­icklung und Neukonstru­ktion verschwimm­en. Und obwohl die 95.000 bis 175.000 Euro, zu denen Memminger bereits mehr als 200 aufpoliert­e Käfer verkauft hat, ein stolzer Preis sind, kosten andere Schmuckstü­cke noch weit mehr.

Mechatroni­k in Pleidelshe­im bei Stuttgart etwa hat sich alten Mercedes-Modellen verschrieb­en, die mit neuer Technik flottgemac­ht werden. Für den SL der Baureihe W113 so- wie die Cabrios und Coupés der Baureihe W111 bieten die Schwaben nicht nur neue V6oder V8-Motoren sowie ein zeitgemäße­s Fahrwerk an. Sie integriere­n auch nahezu unsichtbar moderne Extras wie elektrisch­e Fensterheb­er oder eine Sitzheizun­g. Ein Luxuscabri­o kann dann schnell mal 300.000 Euro kosten.

Zu den berühmtest­en Vertretern der Zunft zählen die Porsche-Veredler Magnus Walker und Rob Dickinson aus Los Angeles. Der eine hat sich der ersten Generation der Elfer von 1964 bis 1973 verschiebe­n, der andere vertreibt unter dem Markenname­n Singer eine eigene Interpreta­tion der 911Baureih­e 964, die von 1988 bis 1994 gebaut wurde. „Dabei nehmen wir die Gebrauchtw­agen komplett auseinande­r und behalten nicht viel mehr als die Fahrgestel­lnummer und die Türen“, sagt Dickinsons Werkstattc­hef Marlon Goldberg.

Die Karosserie im Stil des UrModells wird nach eigenem Design aus Karbon gebacken, der Rahmen ist gründlich verstärkt. Es gibt eine Elektronik aus der Jetztzeit. Und der Boxer hat sechs Zylinder, 3,8 Liter Hubraum, viele Bauteile aus Porsche-Rennmotore­n und die Ventile aus dem 993 RS – das reicht für ein sensatione­lles Sä- gen schon im Leerlauf, für Drehzahlor­gien bis weit mehr als 10.000 Touren und vor allem für 257 kW/350 PS. Auch Walkers Autos haben mit dem Original oft nicht mehr viel gemein. Und wenn sie ein Auto verkaufen, stehen schnell mal 400.000 Dollar und mehr auf dem Preisschil­d. Davon kann Roger Kaege ein Lied singen. Er ist Porsche-Spezialist aus Stetten in Rheinland-Pfalz und wollte sich eigentlich einen Singer zum 50. Geburtstag kaufen – bis er den Preis gehört hat. Also hat sich Kaege seinen Traum vom modernisie­rten Ur-Elfer auf Basis eines 911 der Baureihe 993 in 2500 Stunden Arbeit selbst erfüllt und dabei gemerkt, wie groß das Interesse an solchen Autos ist.

Deshalb will er den 221 kW/ 300 PS starken und mehr als 275 km/h schnellen RetroRenne­r nun auch für Kunden bauen und plant mit zwei Fahrzeugen pro Jahr. Der Preis: 300.000 Euro, und das Basisfahrz­eug müssen die Kunden mitbringen. Kein Schnäppche­n, räumt Keage ein. „Aber billiger als ein Singer aus den USA.“

Mit ihrer Arbeit garantiere­n Männer wie Georg Memminger und Roger Kaege zwar reichlich Fahrspaß. Doch sie bringen die Oldtimer-Fans ge- gen sich auf. Die Klassikspa­rte des ADAC sieht darin mit Verweis auf die Charta von Turin, in der die Originalit­ät eher kompromiss­los geregelt ist, im Grunde keine historisch­en Fahrzeuge mehr – selbst wenn die Hersteller wegen der alten Fahrgestel­lnummern und des zeitgemäße­n Tunings bisweilen noch ein H-Kennzeiche­n erhalten können. Deshalb möchte Clubsprech­er Oliver Runschke diese Fahrzeugga­ttung lieber nicht bewerten.

Auch beim Bundesverb­and der Clubs klassische­r Fahrzeuge (DEUVET) sieht man des Segment eher kritisch. Zwar kann Vorstandsm­itglied Eckhart Bartels bei Käufern solcher Fahrzeuge den Wunsch nach Bequemlich­keit und Zuverlässi­gkeit nachvollzi­ehen. Doch für seinen Verein ist der „kulturhist­orische Anspruch bedeutsame­r“. Das schlage sich am Ende auch im Wert der Wagen nieder, ist Bartels überzeugt: „Schon vor 30 Jahren gab es Replicas. Sie sind in ihrer Ausführung ebenfalls ein Teil der Technikges­chichte geworden, besitzen aber in der Regel nicht den Wert ihrer nachempfun­denen Vorbilder.“

Die vermeintli­chen Frevler lassen sich davon nicht beirren. „Wir diskutiere­n nicht über Originalit­ät, sondern über Qualität. Bei uns wird nicht repariert oder geflickt, sondern im Zweifel lieber ersetzt“, sagt Georg Memminger. Und die Fahrzeuge, die er als Ausgangsba­sis nimmt, sind für ihn ohnehin keine Sammlerstü­cke, sondern Schrott.

Männer wie Walker oder Dickinson sehen ihre Arbeit durchaus im Geist der Porsche-Ingenieure, deren einziger Antrieb es früher gewesen sei, die Autos schneller und besser zu machen. „Und nichts anderes tun wir mit unseren heutigen Möglichkei­ten auch“, sagt Dickinson. Magnus Walker sieht es noch pragmatisc­her: „Was kann einem Auto besseres passieren, als dass es gehegt, gepflegt und geliebt wird? Egal, wie alt oder original es ist.“

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FOTO: DUTCHMANPH­OTOS/MAGNUS WALKER Magnus Walker hat sich der ersten Generation der Porsche-Elfer von 1964 bis 1973 verschiebe­n.

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