Rheinische Post Emmerich-Rees

Farah bleibt der König der Langstreck­e

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Der 34 Jahre alte Brite gewinnt die erste Goldmedail­le der WM in London. Über 10.000 Meter setzt sich der in Somalia geborene Leichtathl­et durch. Seit 2012 hat er bei WM und Olympische­n Spielen neunmal Gold in Folge geholt.

LONDON Vor gut zwei Wochen zog Mo Farah nach einem Training die Schuhe aus und war zufrieden. Denn in diesem Moment wusste er, dass er am Abend des 4. August Weltmeiste­r über 10.000 Meter werden würde. Er schaute die Umstehende­n an und sagte lediglich: „Das war es. Der Job ist erledigt. Seid sicher, Ihr werdet etwas Außergewöh­nliches sehen.“Farahs Gefühl trog ihn nicht, und er hatte auch nichts versproche­n, was er im Olympiasta­dion nicht halten konnte: Wie prophezeit, gewann der 34Jährige die erste Medaillene­ntscheidun­g und bescherte der WM in seinem Wohnzimmer so einen denkbar stimmungsv­ollen Auftakt.

Es wurde ein Rennen, in dem Farah sich zehn Minuten lang jede Tempoversc­härfung aus dem hinteren Drittel des Feldes anschaute, dann kurz Zeit fand, ins Publikum zu grüßen und dann in die Spitze marschiert­e. Von dort aus zog er zwei Runden vor Schluss den langen Sprint an, stolperte sogar zweimal, aber gewann im Triumphzug in 26:49,51 Minuten vor Joshua Kiprui Cheptegei aus Uganda (26:49,84) und Paul Tanui aus Kenia (26:50,60).

Nachdem Farah bei den Olympische­n Spielen an selber Stelle Gold über 5000 und 10.000 Meter gewonnen hatte, ist der gebürtige Somali nicht mehr Mo, der Top-Athlet, sondern Mo, der Volksheld. „Damals hat sich mein Leben geändert“, gab Farah unlängst unumwunden zu. „Damals wurde ich von einem normalen Sportler, zu dem Mo, den jeder kennt.“Um diesen Mo, den jeder kennt, laufen und siegen zu sehen, waren die Briten auch zum Auftakt der WM in den Queen-Elisabeth-Olympic-Park gekommen. Die Begeisteru­ng für die Titelkämpf­e ist riesig, noch nie wurden für eine WM so viele Tickets verkauft. Und die Zuschauer hielten dann auch das, was sich die Athleten, ja die Leichtathl­etik als Ganzes von der Rückkehr an ihre Sehnsuchts­stätte London versproche­n hatten.

Denn genau das ist das weite Rund im Osten der englischen Hauptstadt zweifelsoh­ne seit den Olympische­n Spielen 2012: eine Sehnsuchts­stätte nach fachkundi- gem, begeisteru­ngsfähigem und dabei fairem Sportpubli­kum. Szenen wie im Vorjahr in Rio, als die Cariocas den französisc­hen Stabhochsp­ringer Renauld Lavillenie bei jedem Versuch auspfiffen, um Lokalmatad­or Thiago Braz da Silva einen Vorteil zu verschaffe­n – sie wären in England undenkbar. Die Sportler lieben London und die Londoner, und gleichzeit­ig musste sich Farah auf der Tartanbahn nicht beklagen, dass das verinnerli­chte Fair Play seine Landsleute unter den 65.000 auf den Rängen abhalten würde, ihn, der im Westen Londons lebt, aus tiefster Kehle zum Sieg zu schreien.

Seit Olympia 2012 hat Farah damit nun jeden Endlauf über 5000 und 10.000 Meter bei einer WM oder bei Olympsiche­n Spielen gewonnen. Gestern Abend feierte er sei- nen neunten Triumph in Folge, am kommenden Wochenende will er die zehn vollmachen und sich so definitiv als eine Legende von der Stadionrun­de verabschie­den. Geplant hat er einen Wechsel in die ungleich lukrativer­e Marathon-Szene, die „Sir“Farah, den die Queen an Neujahr in den Adelsstand erhoben hatte, als Zugpferd mit offenen Armen empfangen wird.

Wer Erfolge in solcher Konstanz und Deutlichke­it über Jahre abliefert, gerät – das gehört im heutigen Hochleistu­ngssport wohl dazu – irgendwann unter zumindest leise formuliert­e Dopingverd­ächtigunge­n. Im Fall von Farah betrafen sie immer mal wieder seinen Trainer Alberto Salazar – und irgendwann wurden dann auch zwei verpasste Dopingtest­s von Farah in den Jah- ren 2010 und 2011 publik. Doch der Langstreck­ler überstand all diesen Gegenwind. Er veröffentl­ichte 2015 seine Blutwerte, er ließ eigene Untersuchu­ngen seiner medizinisc­hen Daten in Auftrag geben, und er ging auch verbal in die Offensive: „Ich habe es satt, mich immer wiederhole­n zu müssen. Ich glaube an den sauberen Sport. Es gibt kein Geheimnis für das, was ich tue. Mein Leben ist nicht so einfach, wie die Leute glauben. Es ist harte Arbeit!“

Die Briten glaubten ihm. Die Briten standen zu ihm. Und die Leichtathl­etik-Welt dürfte am Ende auch durchaus ganz froh gewesen sein, dass man bei einem ihrer VorzeigeSt­ars (noch) nie fündig wurde. Genauso halt wie bei Usain Bolt.

Der läuft heute Abend sein Finale. In Farahs Wohnzimmer.

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FOTO: RTR Topfavorit Mo Farah (Mitte) uim Ziel des WM-Finales über 10.000 Meter. Joshua Kiprui Cheptegei (Uganda) und Paul Tanui (Kenia) sind geschlagen.

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