Janis Blaswich darf endlich wieder fliegen
Der beim VfR Mehrhoog groß gewordene Torhüter hat beim Drittligisten Hansa Rostock eine neue Herausforderung gefunden. Der 26-Jährige fühlt sich nach einer Saison mit großem Verletzungspech im neuen Trikot „wohl und fit“.
NIEDERRHEIN Er ist sehr zeitig da. Eine Stunde vor Beginn des ersten Heimspiels der Saison sitzt Rudi schon auf seinem Platz. Rudi ist ein kleiner Mann, leicht untersetzt, er trägt ein Trikot von Hansa Rostock und um seinen Hals einen blau-weißen Schal. Rudi erzählt, dass schon seine Eltern dem Koggenclub verbunden waren, er 58 Jahre alt ist, und dass es ihm eigentlich nicht gut tut, „hier im Stadion ab und an auszubrechen wie ein Ätna“. Er lacht lauthals. Ob über jenen Vergleich oder seine Angewohnheit, im Stadion mal aus der Haut zu fahren, bleibt unklar. Dann fragt er, wer man denn sei und was man hier mache, man komme nicht aus Rostock, das sei deutlich zu hören. Rudi nickt wissend, nachdem er mal zugehört
Pavel Dotchev hat, und murmelt dann: „Ach so, um also unseren neuen Torwart zu sehen.“
Janis Blaswich betritt exakt 49 Minuten vor dem Anpfiff den Rasen. Die schon anwesenden Hansa-Fans begrüßen ihn freundlich, er grüßt zurück, winkt ihnen zu. Wie Torhüter das eben machen, bevor sie mit ihrem Aufwärmprogramm beginnen. Für Blaswich indes ist an diesem Tag vieles, auch dieses Hallo, kein turnusmäßiger Akt. Erstmals ist er nicht Gastspieler im Ostseestadion, erstmals ist es eine Heimpartie für ihn. 12.500 Zuschauer bereiten ihm einen stimmungsvollen Einstand. Am Tag nach dieser Premiere schwärmt Blaswich, den Hansa für ein Jahr von Borussia Mönchengladbach ausgeliehen hat: „Vor der Heimkulisse war das ein sehr schönes Gefühl.“
Blaswichs Geschichte bekommt eine neue Wendung. Ihr Ursprung liegt schon mehr als ein Jahrzehnt zurück und führt nach Hamminkeln. Beim VfR Mehrhoog macht er seine ersten Schritte. „Da sind meine Wurzeln“, sagt Blaswich, „da bin ich aufgewachsen, da habe ich immer noch meine Freunde.“Er ist talentiert, besser als die meisten. Den Scouts von Borussia Mönchengladbach bleibt das nicht verborgen. 2006, das Sommermärchen hat gerade Deutschland und die Welt berauscht, wechselt Blaswich zu Borussias Jugend, signiert fünf Jahre später seinen ersten Profivertrag.
In der Bundesliga kommt Blaswich nie zum Einsatz. Aber: „Allein das Training auf diesem Niveau bringt einem jungen Torwart extrem viel“, sagt der 26-Jährige. Er lernt von Keepern, die ob ihrer exklusiven Fähigkeiten aus der Masse herausragen. Von Yann Sommer etwa, dem Nationaltorhüter der Schweiz, oder von seinem Kumpel Marc-Andre ter Stegen, der jetzigen Nummer eins des FC Barcelona.
In der Spielzeit 2015/2016 verhilft Blaswich Dynamo Dresden als Stammtorwart zum Aufstieg in die Zweite Bundesliga, muss die Sachsen danach allerdings wieder verlassen. Das ein Jahr andauernde Leihgeschäft endet. Dresden ist an einer Weiterbeschäftigung Blaswichs interessiert. Über die Wechsel-Modalitäten können sich beide Vereine allerdings nicht einigen.
Mit der Unterschrift in Rostock hat Blaswich, dessen Bruder Luis beim Landesligisten PSV Wesel aktiv ist, ein neues Karriere-Kapitel aufgeschlagen. Bedenkzeit vor der Vertragsunterzeichnung – nein, die habe er nicht benötigt. „Ich weiß ja, was Hansa für ein Club ist. Ich weiß, wie toll die Kulisse hier im Ostseestadion ist. Da war die Entscheidung schnell sehr klar.“
In der Hansestadt Rostock fühlt er sich schon wohl. Wenngleich ihm ein wenig die Orientierung fehle und er sich ohne Navigationsgerät verirre, wie er verrät. Nach getaner Arbeit schlendert Blaswich mit seiner Freundin Nadine durch die be- lebte Altstadt, später fahren beide nach Warnemünde ans Meer. Es liegt recht still und ruhig da an diesem Abend.
Noch seien sie im Hotel einquartiert, sagt er. Es sei nicht leicht, ein Appartement zu finden. Der Wohnraum in Rostocks Altstadt, der bevorzugten Gegend, ist arg begrenzt und teuer. Optimistisch ist Blaswich dennoch. Denn: „Meine Freundin hat ein gutes Auge.“Er grinst.
Nur zwei Tage nach seiner Präsentation bei Hansa debütiert er im Drittliga-Team. Rostock siegt bei den Sportfreunden Lotte mit 2:0. Und Trainer Pavel Dotchev frohlockt: „Das Risiko hat sich gelohnt. Janis war überragend, hatte eine tolle Ausstrahlung, hat gut mitgespielt und der Mannschaft Rückhalt gegeben.“
Selbstverständlich ist das nicht. Hinter Janis Blaswich liegt eine unbefriedigende, von Tristesse dominierte Zeit. Ein Seuchenjahr. Die letzte Saison verpasst er komplett. Zwei komplizierte Verletzungen bremsen ihn aus. Zunächst erleidet Blaswich einen Leistenbruch, gerade genesen zieht er sich einen Sehnenabriss im Adduktorenbereich zu und ist erneut dienstunfähig. „Die Zeit, in der man nicht am Ball sein darf, in der man nicht auf dem Platz steht, ist die schlimmste“, sagt er. „Man ist halt nur im Kraftraum, kommt kaum raus.“
Nun ist Blaswich wieder da. Trotz der langen Pause und bislang vier absolvierten Partien im neuen Dress fühlt er sich „wohl und fit“. Und man glaubt ihm, weil man es sehen kann. Besonnen verteidigt Blaswich das Hansa-Tor im ersten Heimspiel gegen Sonnenhof Großaspach. Er dirigiert, kommuniziert, agiert sicher. Nur wenige prekäre Situationen muss er indes lösen. Die wirklich großen Aufgaben warten noch. Im zweiten Heimspiel lief es dann auch nicht so gut für das Team. Hansa verlor am Samstag 1:2 gegen den SV Meppen.
Blaswich will hoch hinaus. Vom Seuchenvogel zum Überflieger. „Mein Anspruch ist es, höher als in der Dritten Liga zu spielen.“Dafür schufte er jeden Tag. Der Traum
„Das Risiko hat sich gelohnt. Janis war überragend, hatte eine tolle
Ausstrahlung“
Trainer Hansa Rostock „Mein Anspruch ist
es, höher als in der Dritten Liga zu
spielen“
Janis Blaswich
Torhüter Hansa Rostock
Bundesliga sei nicht begraben. Während er dies sagt, schüttelt er demonstrativ den Kopf, zieht die Brauen kraus. „Ich setze mir die Ziele gerne recht hoch, aber habe dann immer ein paar Zwischenziele. Die werde ich abarbeiten und erreichen.“Zunächst mal freue er sich, für Hansa Rostock aufzulaufen. Für diesen traditionsreichen Club. Denn: „Alle Fans hängen am Verein, das spielt eine große Rolle. Es macht einfach Spaß, vor 15.000 Fans Fußball zu spielen. Dafür liebe ich den Sport.“Was in einem Jahr, wenn die Leihe endet, passiere, wisse er nicht, betont Blaswich.
Vertraglich ist er bis 2019 an Borussia Mönchengladbach gebunden. „Da ich die Erfahrung gemacht habe, dass im Fußball immer alles möglich ist, mache ich mir keinen Plan. Ich will erstmal eine erfolgreiche Saison spielen, gute Leistungen zeigen.“Auf seine Nahziele mit Hansa angesprochen, bedient sich Blaswich der Standardsätze. „Ich sehe von Spiel zu Spiel.“Und: „Wenn wir als Mannschaft Woche für Woche agieren, dann können wir einiges erreichen.“
Rudi, der Fan seit Geburt, ist während der 90 Spielminuten gegen Großaspach übrigens auch nicht ausgebrochen wie ein Vulkan. Einen „normalen Entwicklungsprozess“attestiert er fachmännisch der im Sommer großflächig sanierten Mannschaft von Hansa Rostock. Und: „Hier wächst gerade was zusammen.“Blaswich ist ein Teil davon.
Nach dem Abpfiff wirbelt Rudi seinen fransigen, leicht verblichenen Hansa-Schal durch die Luft. Dann verabschiedet er sich und will den Heimweg antreten. Er ist erst wenige Schritte gegangen, da macht er plötzlich kehrt. Eines will er noch loswerden: „Übrigens, der Blaswich hat das ganz gut gemacht. Schön, dass er bei uns ist.“Sein Schlusswort hat etwas Poetisches: „Endlich darf der Junge wieder fliegen.“