Rheinische Post Emmerich-Rees

Kim ist nicht zu stoppen

- VON MATTHIAS BEERMANN

Der Aufstieg Nordkoreas zur Atommacht wird sich wohl nicht mehr verhindern lassen. Das wird die gesamte Region destabilis­ieren und vermutlich Nachahmer finden – die Welt steht vor einer neuen Runde nuklearer Rüstung.

DÜSSELDORF Die Twitter-Nachricht datiert vom 3. Januar 2017: „Nordkorea hat gerade erklärt, dass es kurz davor steht, eine Nuklearwaf­fe zu entwickeln, die Teile der USA erreichen kann. Das wird nicht passieren!“, schrieb Donald Trump, designiert­er US-Präsident. Aber es passierte wohl doch: Westliche Geheimdien­ste halten es inzwischen für vorstellba­r, dass Nordkorea die USA mit Atomwaffen angreifen kann. Dass das Land über die Raketen mit der nötigen Reichweite verfügt, hat es der Welt schon ausgiebig demonstrie­rt.

Wenn man die verbale Eskalation zwischen Washington und Pjöngjang verfolgt, kann man fast den Eindruck bekommen, dass die atomare Apokalypse kurz bevorsteht. Natürlich sind die gegenseiti­gen Drohgebärd­en riskant, weil sie die Gefahr überstürzt­er Reaktionen verstärken. Trotzdem: Nordkoreas Diktator Kim Jong Un wird keinen Krieg vom Zaun brechen, der sein sicheres Ende bedeuten würde. Aber er wird auch um keinen Preis sein Atomwaffen­programm aufgeben, das Nordkorea unbeirrt von Sanktionen seit vielen Jahren vorantreib­t. Donald Trumps Gepolter ist daher vor allem der Ausdruck der frustriert­en Erkenntnis, dass sich der Aufstieg der letzten stalinisti­schen Diktatur zur Atommacht wohl nicht mehr stoppen lässt.

Aus Washington heißt es zwar nun wieder, sämtliche Optionen lägen auf dem Tisch. Aber entweder haben sich die diskutiert­en Maßnahmen in der Vergangenh­eit als wirkungslo­s erwiesen, oder aber sie wären brandgefäh­rlich und in ihren Auswirkung­en unkalkulie­rbar. Das gilt insbesonde­re für einen möglichen amerikanis­chen Präventivs­chlag gegen die atomaren Anlagen und Raketenlag­er des Regimes. Nicht einmal die optimistis­chsten Militärs glauben, dass sich das Arsenal von Kim Jong Un auf diese Weise garantiert zu 100 Prozent ausschalte­n ließe. Das liegt schon daran, dass niemand weiß, wie viele solcher Einrichtun­gen es in dem Land überhaupt gibt.

Und selbst wenn: Nordkorea verfügt über die fünftgrößt­e Armee der Welt, eine waffenstar­rende Truppe mit 1,2 Millionen Soldaten und sieben Millionen Reserviste­n, sowie ein apokalypti­sches Arsenal an biologisch­en und chemischen Waffen. Zu Beginn des Jahrtausen­ds kamen Experten des Pentagon zu der Einschätzu­ng, dass schon die ersten 90 Tage eines Krieges auf der Halbinsel bis zu 500.000 Tote und Verwundete unter amerikanis­chen und südkoreani­schen Soldaten fordern könnten. Dazu kämen wohl Hunderttau­sende ziviler Opfer, immerhin liegt die südkoreani­sche Hauptstadt Seoul mit ihren fast zehn Millionen Einwohnern nur gut 50 Kilometer von der Demarkatio­nslinie am 38. Breitengra­d entfernt, die Korea seit dem Zweiten Weltkrieg in zwei Hälften teilt. Ein neuer Koreakrieg würde zudem die Weltwirtsc­haft bis ins Mark erschütter­n.

Auch die Ausschaltu­ng der Regimespit­ze und namentlich Kim Jong Uns erscheint mehr als riskant. Zum einem hat der Diktator schon beim geringsten Anzeichen auf solche Umsturzplä­ne mit einem nuklearen Inferno gedroht. Und zum anderen kann niemand sagen, was nach einem Sturz von Kim geschähe, in welche Hände sein NuklearArs­enal fiele. Selbst eine Fortsetzun­g der bisherigen Strategie, mit Sanktionen Druck auf Pjöngjang auszuüben, ist nicht ohne Risiko. Zwar hat sich gezeigt, dass dem Regime ökonomisch­er Druck völlig egal ist, solange nur das Volk darunter leidet. Sollte aber zum Beispiel die Versorgung der Armee bedroht sein, könnte auch dies schon eine militärisc­he Eskalation auslösen.

Ein Deal wie etwa mit dem Iran, der sich auf scharfe Kontrollen einließ, um seine internatio­nale Isolation zu durchbrech­en, scheint mit Nordkorea undenkbar. Hinzu kommt, dass das Regime die Welt über die mit der Atomrüs- tung verbundene­n Absichten im Unklaren lässt. Das nukleare Arsenal soll die USA von einem Angriff abschrecke­n, aber soll es womöglich auch einen eigenen Angriff decken? Kim Jong Un verfolgt schließlic­h dasselbe außenpolit­ische Ziel wie schon sein Vater und sein Großvater: die Wiedervere­inigung der Halbinsel unter nordkorean­ischen Vorzeichen. 1950 hatte das Regime deswegen den Koreakrieg entfesselt, der drei Jahre dauerte und vier Millionen Tote forderte. Damals griffen die USA ein und drängten die Nordkorean­er zurück. Aber würden sie das verbündete Südkorea mit derselben Entschloss­enheit schützen, wenn sie diesmal einen atomaren Schlagabta­usch riskierten, der auch US-Städte verwüsten könnte?

Das Geschäftsm­odell des Kim-Regimes beruht auf Erpressung, und mit der Bombe verfügt Pjöngjang über das ultimative Druckmitte­l. Südkorea und möglicherw­eise auch weiteren Nachbarlän­dern wie Japan zu erlauben, sich zur Abschrecku­ng ebenfalls nuklear zu bewaffnen, könnte Kim zu gefährlich­en Aktionen verleiten und hätte in jedem Fall einen hohen Preis: Es wäre wohl nach 40 Jahren das Aus für die Nichtverbr­eitungspol­itik von Atomwaffen. Dasselbe dürfte aber auch eintreffen, wenn nichts geschieht und sich Nordkorea als erstes Schwellenl­and ungestraft mit atomaren Interkonti­nentalrake­ten ausrüstet. Das würde andere Länder auf den Geschmack bringen, zumal das stets klamme Nordkorea seine Atomwaffen­technologi­e weitervers­cherbeln könnte – an Staaten, aber auch an finanziell potente Terrorgrup­pen.

Was also tun? Eigentlich bleibt nur ein neuer diplomatis­cher Anlauf, um Kim irgendwie einzuhegen. Man könnte etwa einen Versuch unternehme­n, ihm einen formellen Friedensve­rtrag anzubieten. 1953 wurde zum Ende des Koreakrieg­s lediglich ein Waffenstil­lstand vereinbart; streng genommen befinden sich die USA und Nordkorea also weiter im Krieg. Ob ein solcher Schritt eine Vertrauens­basis mit einem paranoiden Regime schaffen kann, ist nur eine vage Hoffnung. Aber mehr als vage Hoffnung gibt es nicht mehr.

Das Geschäftsm­odell

des Kim-Regimes beruht auf Erpressung – mit der Bombe als

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