Rheinische Post Emmerich-Rees

Vor 100 Jahren führte der britische Oberbefehl­shaber an der Westfront seine Truppen in die Passchenda­ele-Schlacht in Flandern: 500.000 Tote und Verwundete kostete das Gemetzel im Schlamm.

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Douglas Haig) mündeten ohne sichtliche Erfolge in schwersten Verlusten: Allein die Briten verloren 420.000 Mann. Man brauchte den Lethetrank des Sieges.

Den zweiten Grund lieferte die Kriegslage. Während sich die alliierten Offensiven an der Westfront festliefen, misslang der italienisc­he Durchbruch zwischen Isonzo und den Dolomiten. In Russland wuchs sich die zunächst erfolgreic­he Brussilow-Offensive an der Südwestfro­nt (Juni bis September 1916) zu einem zweiten Verdun aus. Die davon angefachte Revolution im Februar 1917 mit dem Sturz des Zaren riss die Entente-Flanke im Osten auf. Rumänien geriet in deutsche Hand.

Der dritte Grund war für die Briten zwanghaft. Die Gegenblock­ade Englands durch deutsche U-Boot-Angriffe auf feindliche und neutrale Handelsfah­rer rief die USA in den Krieg, doch wuchsen die Schiffsver­luste auf 600.000 Bruttoregi­stertonnen pro Monat. Im April unterricht­ete der Erste Lord der britischen Admiralitä­t, John Jellicoe, das Kriegskabi­nett, nach seinen Berechnung­en sei Großbritan­nien außerstand­e, den Krieg bis 1918 fortzusetz­en. Er forderte die Einnahme der belgischen Küste mit den Häfen Ostende und Zeebrugge, von wo aus ein Drittel der deutschen U-Boot-Flotte operierte.

Der Oberkomman­dierende des britischen Expedition­skorps, Douglas Haig, sah im Durchbruch in die nordwestfl­andrische Tiefe bis zum Kanal, verbunden mit einer Landeopera­tion der Royal Navy südlich von Ostende, die Garantie des Sieges. Nach Einnahme der taktisch wertvollen Hügelkämme im Frontbogen um Ypern bis zur Linie Menen-Torhout im Osten und TorhoutDik­smuide im Norden würde der befreiende Vorstoß von vier Armeen – drei britische im Zentrum und eine französisc­he im Küstengebi­et mit 36 Divisionen – die Deutschen zwischen dem Fluss Ijzer und dem Hafen Zeebrugge ans Meer drängen und vernichten, so die Hoffnung. Die Landung von See würde den französisc­hen Flügel stärken und die deutschen Reste zersplitte­rn.

Generalsta­bsmäßig konnte es keinen besseren Plan geben, als das Drehkreuz in Westbelgie­n in die Hand zu bekommen, den Weg zum Hafen Antwerpen zu öffnen und nach Südwesten hinter die schwer befestigte deutsche Siegfrieds­tellung vorzustoße­n. Doch seit den deutschen Durchbruch­versuchen zu den französisc­hen Kanalhäfen Dünkirchen, Calais, Boulogne im Spätherbst 1914 und Frühjahr 1915 war in Westflande­rn eine surrealist­ische Hindernisl­andschaft entstanden. Terrestris­ch durch Höhenposit­ionen begünstigt, standen die Deutschen jetzt in der Defensive. Sechs gestaffelt­e Stellungen im Bogen um die verwüstete alte Tuch-Stadt Ypern blockierte­n den Durchlass. Um voranzukom­men, mussten die Briten „mit offener Brust bergauf“kämpfen.

Haig rechnete sich Chancen aus. Er schwamm im Kriegsmate­rial, die Artillerie ragte mit über 3000 Rohren überlegen heraus. Der Ansturm sah zwei Phasen vor: Um eine gegen Flankenbed­rohung sichere Ausgangspo­sition zu gewinnen, mussten die deutschen Hügelstell­ungen südlich von Ypern abgeräumt werden. Sappeure hatten seit 1915 die deutsche Frontlinie zwischen Mesen (Messines) und Wijtschate untertunne­lt, nun füllten 500 Tonnen Sprengstof­f das Geäder. Am 7. Juni, kurz nach drei Uhr, explodiert­en 19 der 24 Minen gleichzeit­ig. Das bislang schwerste von Menschenha­nd geschaffen­e Erdbeben vernichtet­e die dritte bayerische Division (10.000 Mann) der Vierten kaiserlich­en Armee. In kürzester Zeit war das gesprengte Gelände in der Hand der britischen Zweiten Armee unter Sir Herbert Plumer.

Dieser hätte den Durchbruch vertiefen können, doch bestand sein Vorgesetzt­er Douglas Haig darauf, den Angriff mit der nördlich positionie­rten Fünften Armee von Sir Hubert Gough auf voller Länge der begradigte­n Linie zu führen. Haig und Gough waren als Kavalleris­ten Anhänger der massiven Konzentrat­ion. Die mit dieser Kampftakti­k verbundene­n umständlic­hen Vorbereitu­ngen ließen den Deutschen Zeit bis zum 31. Juli. Woche um Woche konnten sie sich von dem Minenschla­g erholen – welch ein generöses Geschenk des Feindes. Als schließlic­h die britische Artillerie mit 4,2 Millionen Granaten den ersten Sturmangri­ff von acht Divisionen und zwei Panzerbrig­aden anbahnte, öffnete der Himmel wie zur Revanche die Schleusen. Wider alle Wetterprog­nosen fiel in den folgenden Monaten in Flandern so viel Regen wie seit 1878 nicht mehr.

Das Gefechtsfe­ld verwandelt­e sich in eine Schlammlan­dschaft. Die Artillerie zerfetzte das sorgsam angelegte Drainagesy­stem. Infanteris­ten, Feldartill­erie, britische Panzer – damals elefantöse Monster – arbeiteten sich wie durch ein aufgewühlt­es Wattenmeer. Auf Lattenrost­en balanciert­en die Sturmbriga­den über die weichen Lippen wassergefü­llter Granattric­hter, Männer versanken in den Schlünden.

Sir Douglas startete mit ungedeckte­r Masse gegen die deutschen Stellungen, blieb hängen, gewann die strategisc­he Tiefe nicht. Alle Pläne waren nasses Papier. Nach Gemetzeln im Juli und August stellte er die Sturmläufe ein, die Soldaten konnten nicht mehr, und ersetzte das Schlachtfe­ldmetronom Gough durch den taktisch bewegliche­n Plumer. Dieser begrenzte die Einsätze, konsolidie­rte kleine Vorstöße im abgründige­n Gelände, ließ ablösen, nachrücken.

Dennoch, die Deutschen waren wie Wiesel, unterliefe­n die Artillerie, lancierten Gegenstöße intakter Eingreifdi­visionen aus der rückliegen­den, ruhigen Zone – solange die Re- serve reichte. Aus Bunkerkett­en und flankieren­den Riegeln zwischen den sechs deutschen Linien ergossen sich Katarakte von Maschineng­ewehr- und Granatwerf­erfeuer. Wer niedergeha­lten wurde und 30 Stunden im Wasser stand, hatte schwarze Beine. Beide Seite verschosse­n Gasgranate­n, die Deutschen Gelbkreuz („Yperit“), es greift Augen, Haut, Lungen an. Von Geschossen zerfetzter Stacheldra­ht war der Todfeind des watenden, kriechende­n Soldaten. Der symptomati­sche rote Streifen der Vergiftung schlang sich blitzschne­ll ums Herz. Die Ablösung stockte, Nachschub fehlte; Essen, Wasser, Sanitäter blieben aus. Und es hörte nicht auf zu regnen.

245.000 britische, 215.000 deutsche Verluste (Tote, Verwundete, Gefangene) – Haig verlor die Schlacht. Nach 100 Tagen führte kein Weg über das Dorf Passchenda­ele hinaus, das der Offensive den verfluchte­n Namen gibt.

Premier Lloyd George, empört über das haltlose Blut, köpfte Haigs Stab, kam aber an den Marschall nicht heran. Erst in seinen Memoiren (1936) wagte er es, ihn zu verschmähe­n – ein später Ausdruck des schlechten Gewissens, meint sein Biograf John Grigg (2002), dass er Haigs Lauf nach Passchenda­ele nicht aufgehalte­n habe. Und in der Tat: Noch auf den eroberten Hügeln krümmten sich die Soldaten unter erbarmungs­losem Feuer.

Aber auch die Vierte deutsche Armee unter General Sixt von Armin war am Ende. Es gab Tränen, keine Meuterei. Franky Bostyn, belgischer Militärhis­toriker und Kurator des Passchenda­ele-Museums in Zonnebeke, schreibt: „Obwohl die Deutschen die Schlacht gewannen – ihre Logistik war gebrochen, sie verloren den Krieg in Flandern.“Tatsächlic­h? 1918 brachten deutsche Verbände mit neuer Sturmtrupp­taktik das gesamte Gelände innerhalb von zwei Tagen wieder unter Kontrolle. Doch nur für kurze Zeit – dann war ihr Elan gebrochen.

Das bislang schwerste von Menschhand geschaffen­e Erdbeben vernichtet­e die dritte bayerische Division

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FOTOS: DPA Wider alle Wetterprog­nosen fiel während der Passchenda­ele-Schlacht in Flandern so viel Regen wie seit 1878 nicht mehr.
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Sir Douglas Haig (l.) während eines Truppenbes­uchs in Dover im Winter 1918.

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