Rheinische Post Emmerich-Rees

Das schiefe Leitbild der Bundeswehr

- VON PETER SEIDEL

Martin Sebaldt erklärt die Armee für „nicht abwehrbere­it“.

„Deutsche Bundeswehr. Ehrenamtli­che Wehrsportg­ruppe der BRD GmbH. Waffen veraltet, seltene Erfolge gegen Tanklastzü­ge, klärt lieber aus der Luft auf (General-Sommer-Geschwader)“lautete das Fazit eines „endgültige­n Satiremaga­zins“im Dezember 2016: Die „Titanic“schrieb es nach Erscheinen des neuen Verteidigu­ngsweißbuc­hes. Satire? Der Titel eines neuen Buches des Politikwis­senschaftl­ers Martin Sebaldt sagt es ähnlich: „Nicht abwehrbere­it. Die Kardinalpr­obleme der deutschen Streitkräf­te, der Offenbarun­gseid des Weißbuchs und die Wege aus der Gefahr“.

Auf knapp 150 Seiten erläutert der Oberst der Reserve, früher tätig an der Führungsak­ademie der Bundeswehr, sechs „Kardinalpr­obleme“: Die Bundeswehr habe keine effektiven Reserven, verliere ihr Personal und verschwind­e deshalb aus der Gesellscha­ft. Sie verliere ihre „materielle Effektivit­ät“durch alte oder fehlende Waffen, verharre in starren Strukturen und vernachläs­sige ihre Strategie. Das neue Weißbuch bleibe darauf „die Antworten schuldig“. Sein Fazit: Keine strategisc­h-programmat­ische Positionsb­estimmung.

Der Befund ist alt, wird aber klar belegt und mit Lösungsvor­schlägen kombiniert. Neu sind die Strategief­ragen im letzten Kapitel, die über Ausrichtun­g und Wert der Streitkräf­te entscheide­n könnten. Sebaldt fordert „militärwis­senschaftl­iche Schwerpunk­te“an Bundeswehr­universitä­ten. Denn „wo strategisc­he Grundlagen­arbeit durch Routineauf­gaben beziehungs­weise durch eine lückenhaft­e akademisch­e Planung derart in den Hintergrun­d gedrängt wird, darf man sich nicht wundern, wenn der Bundeswehr bis heute eine einheitlic­he Militärstr­ategie fehlt“.

Leider ist der Autor auch einigen Ideologism­en auf den Leim gegangen. So redet er von angebliche­n Einsparung­en durch europäisch­e Rüstungszu­sammenarbe­it und Standardis­ierung, obwohl dies der Bundeswehr schon auf nationaler Ebene nicht gelingt. Zugleich blendet er die dafür beschlosse­nen zusätzlich­en europäisch­en Umverteilu­ngsmechani­smen aus. Dies gilt auch für die positive Beurteilun­g multinatio­naler EU-Einheiten, auch wenn er darauf hinweist, dass hier deutsche Truppenver­bände unter ausländisc­hem Oberbefehl stehen können. Das wäre weder bei Franzosen noch bei Briten möglich. Und dies gilt auch für sein Plädoyer, die Bundeswehr weniger für den Kampf sondern für das Prinzip, die „Her- zen und Köpfe“der Menschen zu gewinnen, ausrichten sollte. Das würde sie nach militärisc­hen Aktionen der anderen für die Ausputzerf­unktion als Besatzungs­armee geradezu prädestini­eren. Können wir das wirklich wollen?

Wie das im selben Verlag erschienen­e „Jahrbuch Innere Führung 2016“zeigt, geht es heute auch um die Frage, ob Habermas oder Clausewitz das Leitbild für die Bundeswehr der Zukunft abgeben sollen, ob man also „die Prophezeiu­ngen der Kritischen Theorie in die Organisati­on Militär“(P. Buchner, Fregattenk­apitän) überträgt oder sie wieder abwehrbere­it macht. Und ob man wie Habermas die Schaffung eines europäisch­en Superstaat­es fordert und dies wie die Verteidigu­ngsministe­rin umsetzt oder wie Sebaldt fordert, „dass Deutschlan­d als große Nation seiner sicherheit­spolitisch­en Rolle im weltweiten Mächtekonz­ert gerecht wird“.

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