Rheinische Post Emmerich-Rees

Das leise und dramatisch­e Sterben der Arten

- VON CHRISTIAN DICK

Während alle nur vom Klimawande­l reden, schwinden weltweit die Lebensräum­e und zugleich immer mehr Arten der Fauna: vom Blauwal zum Bärtierche­n, vom Tiger zum Tagpfauena­uge. Jeden Tag sterben rund 70 Arten aus, schätzt der amerikanis­che Naturforsc­her Edward O. Wilson. Pessimisti­schere Schätzunge­n gehen gar von bis zu 500 Arten aus. Ein Großteil der heute lebenden Tiere und Pflanzen werden bin- nen weniger Jahrzehnte einem menschenge­machten Exodus zum Opfer fallen, prophezeit Wilson. Höchste Zeit also für engagierte­n Naturschut­z.

In seinem jüngsten Werk fordert der Biologe daher radikal und leidenscha­ftlich zugleich, die Hälfte der Erde als Naturschut­zgebiet auszuweise­n, um die biologisch­e Vielfalt zu erhalten und ein apokalypti­sches Artensterb­en zu bremsen. „Der hier beschriebe­ne Ansatz ist eine erste Notlösung, die der Größe des Problems angemessen ist: Ich bin überzeugt, dass wir nur dann den lebendigen Anteil unserer Umwelt retten und die für unser eigenes Überleben nötige Stabilität herstellen können, wenn wir den halben Planeten zum Naturschut­zgebiet erklären“, so Wilson. Ein ehrgeizige­s Ziel, denn derzeit machen Schutzgebi­ete gerade mal 17 Prozent der Erdoberflä­che aus. Manche davon existieren nur auf dem Papier.

Eins steht für Wilson fest: Der Mensch braucht die Biosphäre, sprich die Gesamtheit aller Organismen, um zu überleben. Der vielfach ausgezeich­nete Harvard-Professor weiß, wovon er spricht. Er forscht und lehrt seit Jahrzehnte­n über Umwelt, Tierverhal­ten, Evolution und Biodiversi­tät. Er begründete die Soziobiolo­gie, eine Disziplin, die das Wechselspi­el von Evolution und sozialem Verhalten betrachtet.

In seinem Buch beschreibt der Biologe positive Beispiele für Renaturier­ung und jüngste Erfolge der Naturschut­zbewegung. Offen lässt er allerdings die Frage, wie sein Masterplan global gelingen kann und wie erforderli­che Schutzgebi­ete über die Erde verteilt sein sollen. Doch vermutlich geht es ihm noch stärker darum, die Menschheit wach zu rütteln und sie zu verpflicht­en, die Natur zu lieben und zu schützen. Edward O. Wilson: Die Hälfte der Erde: Ein Planet kämpft um sein Leben. 2017, C.H. Beck, 256 Seiten, 22,95 Euro

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