Das leise und dramatische Sterben der Arten
Während alle nur vom Klimawandel reden, schwinden weltweit die Lebensräume und zugleich immer mehr Arten der Fauna: vom Blauwal zum Bärtierchen, vom Tiger zum Tagpfauenauge. Jeden Tag sterben rund 70 Arten aus, schätzt der amerikanische Naturforscher Edward O. Wilson. Pessimistischere Schätzungen gehen gar von bis zu 500 Arten aus. Ein Großteil der heute lebenden Tiere und Pflanzen werden bin- nen weniger Jahrzehnte einem menschengemachten Exodus zum Opfer fallen, prophezeit Wilson. Höchste Zeit also für engagierten Naturschutz.
In seinem jüngsten Werk fordert der Biologe daher radikal und leidenschaftlich zugleich, die Hälfte der Erde als Naturschutzgebiet auszuweisen, um die biologische Vielfalt zu erhalten und ein apokalyptisches Artensterben zu bremsen. „Der hier beschriebene Ansatz ist eine erste Notlösung, die der Größe des Problems angemessen ist: Ich bin überzeugt, dass wir nur dann den lebendigen Anteil unserer Umwelt retten und die für unser eigenes Überleben nötige Stabilität herstellen können, wenn wir den halben Planeten zum Naturschutzgebiet erklären“, so Wilson. Ein ehrgeiziges Ziel, denn derzeit machen Schutzgebiete gerade mal 17 Prozent der Erdoberfläche aus. Manche davon existieren nur auf dem Papier.
Eins steht für Wilson fest: Der Mensch braucht die Biosphäre, sprich die Gesamtheit aller Organismen, um zu überleben. Der vielfach ausgezeichnete Harvard-Professor weiß, wovon er spricht. Er forscht und lehrt seit Jahrzehnten über Umwelt, Tierverhalten, Evolution und Biodiversität. Er begründete die Soziobiologie, eine Disziplin, die das Wechselspiel von Evolution und sozialem Verhalten betrachtet.
In seinem Buch beschreibt der Biologe positive Beispiele für Renaturierung und jüngste Erfolge der Naturschutzbewegung. Offen lässt er allerdings die Frage, wie sein Masterplan global gelingen kann und wie erforderliche Schutzgebiete über die Erde verteilt sein sollen. Doch vermutlich geht es ihm noch stärker darum, die Menschheit wach zu rütteln und sie zu verpflichten, die Natur zu lieben und zu schützen. Edward O. Wilson: Die Hälfte der Erde: Ein Planet kämpft um sein Leben. 2017, C.H. Beck, 256 Seiten, 22,95 Euro