Ein Familiending
Beim Haldern-Pop-Festival gab es sagenhafte Konzerte und einen Musiker, der sein Publikum 15 Minuten lang eine Zeile singen ließ.
REES-HALDERN Es gibt diese Auftritte beim Haldern-Pop-Festival, die Einzug in die Dorfchronik halten werden, weil sie emotional so aufwühlen, weil sie so denkwürdig und einzigartig sind. Die Performance der britischen Rap-Poetin Kate Tempest auf dem alten Reitplatz an der Lohstraße am Samstagabend zum Finale des Festivals war so ein Ding. Eine Stunde lang präsentierte die 31-Jährige chronologisch die Songs ihres aktuellen Albums „Let Them Eat Chaos“. Ein musikalischer Roman ist das, mit 13 Kapiteln. Erzählt wird von sieben Menschen, die alle an einer Straße wohnen und morgens um 4:18 Uhr wach liegen. Die Storytellerin Kate Tempest strickt aus diesen Biografien eine große Wutrede auf die Zustände der Welt. Wie eine Rapversion der Punk-Ikone Patti Smith wirkt Tempest, die schon jetzt als eine der wichtigsten Musikkünstlerinnen der Gegenwart gelten darf. Lyrikpreise hat sie gewonnen, ihr Gedichtband „Hold Your Own“wurde ins Deutsche übersetzt, 2016 erschien auch ihr Roman „Worauf Du Dich verlassen kannst“in deutscher Übersetzung. Die junge Frau zetert in Haldern, sie redet im Überfluss, die kurzen Pausen dienen nur dem Atemholen. Musikalisch wird sie von einer kleinen Band im Rücken begleitet, die nur harte, schnelle Beats erzeugt. Im Hintergrund flackert das Licht. Die Zuschauer stehen dicht gedrängt vor der Bühne, nicht selten mit offenem Mund. Alles kulminiert im Song „Tunnel Vision“, groß und mächtig. Da stehen die sieben Charaktere morgens beim Unwetter auf der Straße. „Sieben gebrochene Herzen, sieben leere Gesichter“. Tempests Botschaft am Ende: „Love more.“
Drei friedliche Musiktage hat Haldern erlebt. Dafür ist dieses Festival ja bekannt: Dass hier die Zeit von der Uhr genommen wird, dass man hier nicht von einem Künstler zum nächsten hetzt. Zwar ist deutlich mehr Security zu sehen als in früheren Jahren. Zwar sind die Schlangen vor dem Eingang aufgrund der Sicherheitsauflagen deutlich länger. Die Konzertgäste ertragen das aber mit stoischer Ruhe. Wer eine ganze Nacht bei strömendem Regen in einem Zelt erlebt hat – der Festivalauftakt am Donnerstag war in dieser Hinsicht ein Wetter-Fiasko – den kann auch das Warten in einer Schlange nicht schocken. Über Nacht hat das Festivalteam Sägespäne auf dem Reitplatz verteilt. Der Freitag und Samstag bleiben trocken, die Füße auch. Und so sehen die Besucher drei in ihrer Dramaturgie völlig unterschiedliche Konzerttage mit 69 Bands auf sechs Bühnen, verteilt über das ganze Dorf. Die Hauptbühne auf dem Reitplatz ist der Spielort für die großen Namen. Kleinere Konzerte finden in der Haldern-Pop-Bar im Ort oder im katholischen Jugendheim statt.