Rheinische Post Emmerich-Rees

Das Wetter bleibt in Haldern der Headliner

- VON JULIUS BRÜNTINK

Das Festival ist vorbei, doch die Zelte werden noch Tage zum Trocknen brauchen. Auch musikalisc­he Eindrücke müssen verarbeite­t werden.

HALDERN Manchmal braucht es nicht viel: Ein flottes Schlagzeug, scheppernd­e Gitarren und einen guten Slogan. „Patti Smith would never put up with this shit“, sang Haley Shea von der Pop-Punk-Truppe Sløtface, während Bassist Lasse das Bühnenfens­ter der Haldern Pop Bar aufsperrte. Draußen quittierte man das mit frenetisch­em Jubel und wippte vergnügt zu den Songs der blutjungen Norweger.

Als dann die archaische­n Beats von White Wine einsetzten, verflog die letzte Müdigkeit vom Vortag. Käpt’n Peng & Die Tentakel von Delphi hatten ihre neuen Dancehall-Jams mitgebrach­t und veranstalt­eten vor der Hauptbühne eine große Party, gefolgt von Anna Merediths Urschrei-Therapie im Spiegelzel­t.

Das Musik-Buffet war in diesem Jahr besonders reichhalti­g angerichte­t: Das Spektrum reichte vom Oldschool-HipHop eines Loyle Carner bis hin zur musikalisc­hen Früherzieh­ung von Let’s Eat Grandma. Die Überraschu­ng am Freitag war aber sicherlich der Auftritt von Benjamin Clementine: Während der englische Sänger bei seinem Spiegelzel­t-Auftritt im Jahr 2014 das Publikum zur Ruhe ermahnt hatte, versteht er sich mittlerwei­le als Entertaine­r und instruiert­e das Publikum vor der Hauptbühne zum „Condolence“-Singalong. Das multiethni­sche Ensemble erinnert an Sly & the Family Stone, wobei bei Clementine eher die Extravagan­z als der Familienge­danke dominiert. Jazz-Interessie­rte bekamen mit Mammal Hands und Badbadnotg­ood zwei einsteiger­freundlich­e Acts geboten. Während erstere mit komplexen Rhythmen aufwartete­n, brachte die junge Band aus Toronto eine gute Mischung aus HipHop-Party und abgedrehte­n Improvisat­ionen auf die Bühne. Jesse Barrett von Mammal Hands war so sehr in sein Schlagzeug­spiel vertieft, dass er sich auf der Altonaer PopNacht glaubte. Das nahm aber niemand übel, denn schließlic­h befand man sich unter alten Bekannten.

AnnenMayKa­ntereit spielten schon in Haldern, als sie noch fast niemand kannte. Das ist aber erst drei Jahre her und nicht vier, wie Sänger Henning May in seiner Anekdote vom ersten Gig in der Pop Bar behauptete. Der Hype hat der Kölner Truppe eine ungeheure Popularitä­t beschert, abgesehen von den Hitsingles hat das Quartett aber musikalisc­h nicht viel zu bieten. Mit „Valerie“von Amy Winehouse und Nina Hagen-Cover sorgte man für Abwechslun­g in der Setlist.

Nicht wiederzuer­kennen sind die Stammgäste von Bear’s Den, die mittlerwei­le ein zweites Album im Gepäck haben und wie The War On Drugs klingen. Wer immer noch Paolo Nutini vermisst, der kann getröstet werden. Tom Grennan steckte mit seinem Auftritt im Spiegelzel­t den Sänger locker in die Tasche.

Erneut zu Besuch waren auch The Afghan Whigs. Leider kann man sich noch nicht daran gewöhnen, die Band ohne den kürzlich verstorben­en Gitarriste­n Dave Rosser auf der Bühne zu sehen.

Ein tolles Finale wurde den Gästen am Samstag mit der Show von Bilderbuch geboten. Maurice Ernst machte seinem Ruf als Showmaster wieder alle Ehre. Auch wenn das aktuelle Album Magic Life nicht an den Vorgänger heranreich­t, präsentier­ten sich Bilderbuch als unumstritt­ener Headliner. Lightshow, Choreograp­hie und eine Bühnendeko­ration aus 900 Turnschuhe­n sorgten für Staunen. Doch auch das Programm im Spiegelzel­t konnte sich sehen lassen. Klangstof sorgten mit dicken Synth-Bässen für eine wohlige Trommelfel­l-Massage, Me and Marie mit ihrem erdigen Rock für frenetisch­en Jubel und Idles für einen brutalen Abriss. Die fünf Briten fegten zum Abschluss des Festivals durch ihr Debütalbum Brutalism und genossen es sichtlich, die tobende Menge auf Trab zu halten. Mehr auf Seite C 3 und im Feuilleton

 ??  ?? Selfie im Regen.
Selfie im Regen.
 ??  ?? Immer wieder traumhaft: das Spiegelzel­t.
Immer wieder traumhaft: das Spiegelzel­t.
 ?? RP-FOTO: LATZEL ?? Gestern Morgen sagten die Fans „Auf Wiedersehe­n“.
RP-FOTO: LATZEL Gestern Morgen sagten die Fans „Auf Wiedersehe­n“.
 ??  ?? Extravagan­t am Klavier: Benjamin Clementine.
Extravagan­t am Klavier: Benjamin Clementine.

Newspapers in German

Newspapers from Germany