Rheinische Post Emmerich-Rees

Die neuen Weltverbes­serer

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Eine noch junge Bewegung will die selbstlose Hilfe fördern und die Armut in der Welt bekämpfen. Sie nennt sich „effektiver Altruismus“. Dabei wird das Handeln stets auch einer Kosten-Nutzen-Rechnung unterworfe­n.

Nach der Philosophi­e der neuen Weltverbes­serer fühlt man sich erst einmal ungut. Haben wir denn nicht den Fleischver­zehr auf ein mickriges Minimum beschränkt? Entscheide­n wir uns etwa nicht immer öfter für Bioprodukt­e – soweit greifbar? Fahren wir nicht mindestens zweimal pro Woche mit dem Rad zur Arbeit und sind sehr gelegentli­ch mit guten Taten zur Stelle? Alles schön und gut und moralisch achtenswer­t. Doch eigentlich könnte man sich diese Hilfe auch schenken, aus dem Grund: Sie ist herzlich uneffektiv.

Genau das bekommt man in den vielen Statements zum Weltbild einer jungen, noch übersichtl­ichen, aber hochgebild­eten Gruppe von Wohltätern zu lesen. Sie nennen sich die Effektiven Altruisten, ein Wortungetü­m, das – vielleicht aus Effektivit­ätsgründen – gerne nur mit EA abgekürzt wird.

Worum es den weltweit organisier­ten Anhängern geht? Ganz simpel und grundsätzl­ich gesprochen: um eine bessere Welt und um die Haltung, erst an andere zu denken. Doch eine Massenbewe­gung wird aus dem EA dennoch kaum werden. Denn dafür ist er zu speziell, zu intellektu­ell und vor allem zu anspruchsv­oll. Auch wenn es keine Richtschnu­r für die Anhänger gibt, so geben die meisten EA-Vertreter zehn Prozent ihres Bruttoeink­ommens für gute Zwecke – fast vergleichb­ar mit der alten Abgabe des sogenannte­n Zehnten; in Einzelfäll­en sind es gar 60 Prozent, so jedenfalls entspreche­nde Selbstausk­ünfte in den sozialen Medien.

Die Abgabeform beschreibt die altruistis­che Seite der jungen Bewegung. Und sie unterschei­det sich damit nur unwesentli­ch von bisherigen Spendenakt­ionen. Prekär und spannend wird es erst mit der Effektivit­ät. Denn das ist der eigentlich­e Clou: Moralische­s und wirt- schaftlich­es Handeln berühren dabei einander. Nach Ansicht der EA-Anhänger verschmelz­en Herz und Hirn. Doch die auch philosophi­sch getriebene­n Überlegung­en, wie am effektivst­en in dieser Welt geholfen werden könne, lassen ein Übergewich­t des streng Rationalen erkennen.

Da werden Vergleiche aufgestell­t und Rechnungen aufgemacht, die zwar alle rational begründet werden können, die aber die emotionale Seite wie Mitgefühl und Betroffenh­eit auszublend­en scheinen. Effektive Altruisten sind auch Zahlenmens­chen. Und ihren Entscheidu­ngen, wo wem am besten geholfen wird, liegen meist rigide Kosten-NutzenRech­nungen zugrunde. Etwa: Ist es gut, im eigenen Land einem Blinden für 10.000 Euro einen Blindenhun­d zu finanziere­n; oder sollte man das Geld sparen, um damit 300 Augenopera­tionen in Afrika bezahlen zu können? Es gibt noch kältere Gedankenex­perimente: Wir spazieren im Wald an einem Teich vorbei, an dem ein Kind vom Holzsteg fällt und zu ertrinken droht. Rennen wir sofort hin, um zu helfen, auch wenn keine Zeit mehr bleibt, die 3000 Euro teure Luxusuhr vom Handgelenk zu streifen? Wahrschein­lich würden die meisten das bejahen. Aber heißt das dann tatsächlic­h auch, dass uns das Leben eines Kindes 3000 Euro wert ist? Warum dann aber nur in Notsituati­onen, wenn zugleich mit 3000 Euro zahlreiche Malarianet­ze gekauft und auf diese Weise zahlreiche Kinderlebe­n gerettet werden könnten? Wollen wir mit der Rettung des einzelnen Kindes also möglicherw­eise nur künftige Schuldgefü­hle vermeiden? Leid, so sagen es die Effektiven Altruisten, werde nicht dadurch weniger schlimm, dass man es geografisc­h verschiebt.

Es existiert auch eine Stiftung für Effektiven Altruismus, die sich als Schnittste­lle von Ethik und Wissenscha­ft versteht – eine „Denkfabrik“, deren Zweck es ist, „die Lebensqual­ität möglichst vieler empfindung­sfähiger Wesen möglichst umfassend zu verbessern“. Als Partner und Zuarbeiter gibt es noch verschiede­ne Organisati­onen: das „Centre for Effective Altruism“in Oxford beispielsw­eise, das die Ideen verbreiten soll, sowie „GiveWell“, eine gemeinnütz­ige Organisati­on, die vor zehn Jahren von zwei Hedgefonds-Analysten gegründet wurde und als eine Art Informatio­nsbüro die Kosteneffe­ktivität von Hilfswerke­n prüft. Kleinteili­ger wird die Idee mit „Lokalgrupp­en“verbreitet. Etliche gibt es auch hierzuland­e, in Berlin und Bonn zum Beispiel, in Düsseldorf und Frankfurt, Hamburg und Freiburg.

Zwei Fragen stehen am Anfang jedes Engagement­s. Erstens, warum muss man altruistis­ch sein? Zweitens, wo kann ich am meisten bewirken? Auf drei Schwerpunk­te richtet sich ihr Augenmerk für die Schaffung einer schönen neuen Welt: auf die Weltarmut, das Tierleid und die Zukunftste­chnologien, zu denen auch die Förderung künstliche­r Intelligen­z zählt. Denn im strengen Nutzendenk­en wird nicht nur die Zahl und das Schicksal der Hilfsbedür­ftigen miteinande­r verglichen; man sucht auch nach Optimierun­gen etwa des Menschen. Der Leitgedank­e folgt einer kompromiss­losen Aufklärung. Was zählt, ist das Messbare; was dient, ist das ausschließ­lich Rationale.

Vielleicht ist der Effektive Altruismus – zu dem Oxford-Professor William Mac Askill unlängst das Manifest „Gutes besser tun“(Ullstein, 18 Euro) geschriebe­n hat – auch ein Zeichen unserer Zeit: Mit ihm wird einerseits eine Verantwort­ung für die Welt erkannt und angenommen. Anderersei­ts sind die Mittel zur Bekämpfung der Armut aber ausgerechn­et jenem effektiven Geist geschuldet, der zur aktuellen Lage der Welt selbst mit beigetrage­n hat. Es ist darum kein Zufall, dass zu den Mitdenkern und Unterstütz­ern der EA-Bewegung der Philosoph Peter Singer gehört, für den „die Tötung eines behinderte­n Säuglings nicht moralisch gleichbede­utend ist mit der Tötung einer Person“. Wie auch die Giordano-Bruno-Stiftung, die ein positivist­isch-humanistis­ches Weltbild fördert und den Blasphemie-Kunstpreis „Der freche Mario“vergibt.

Die drei Schwerpunk­te der effektiven Altruis

ten sind Weltarmut, Tierleid und Zukunfts

technologi­en

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