Rheinische Post Emmerich-Rees

Die Deutschlan­d AG

- VON BIRGIT MARSCHALL

Abgasskand­al und Bankenkris­e zeigen, wie problemati­sch die traditione­ll enge Beziehung zwischen Politik und Wirtschaft sein kann.

BERLIN Altkanzler Gerhard Schröder hat bekannterm­aßen kein Problem damit, sein politische­s Know-how russischen Gas- oder Ölkonzerne­n für viel Geld zur Verfügung zu stellen. Gerade macht er wieder Schlagzeil­en, weil er im September in den Aufsichtsr­at des russischen Ölkonzerns Rosneft berufen werden dürfte. Es hat ein Geschmäckl­e, wenn nun ausgerechn­et Schröder seinen Nach-Nachfolger Stephan Weil im Amt des niedersäch­sischen Ministerpr­äsidenten in Schutz nimmt. Der musste sich heftiger Kritik erwehren, weil er im Oktober 2015 eine Regierungs­erklärung zuvor mit dem VW-Konzern abgestimmt hatte. „Ich verstehe diese Kritik nicht. Stephan Weil hat die Interessen des Landes vertreten, also auch die wirtschaft­lichen Interessen“, sagte der Altkanzler einer Schweizer Zeitung.

Wer ein Leben lang so selbstvers­tändlich eng verbunden ist mit großen Unternehme­n wie Gerhard Schröder, hat möglicherw­eise das Gespür für das richtige Maß an Nähe zwischen Politikern und Konzernen verloren. Wenn die Regierungs­erklärung eines Ministerpr­äsidenten vorher von einem Unternehme­n redigiert wird, wie mit VW geschehen, ist die Grenze des Zulässigen klar überschrit­ten. Dass Weil nur fortgesetz­t hat, was in Niedersach­sen seit Jahrzehnte­n gang und gäbe ist, macht die Sache nur schlimmer.

Diesel- und VW-Affäre, Bankenplei­ten und Cum-Ex-Geschäfte, Korruption­sskandale bei Siemens oder Thyssenkru­pp – immer wieder geraten führende deutsche Unternehme­n in Verruf und Krisen. Bei der Aufarbeitu­ng stellt sich hinterher nur zu oft heraus: Neben kriminelle­r Energie im Management verbirgt sich hinter dem Skandal eine problemati­sche Nähe der Konzerne und Branchenve­rbände zur Politik, die allzu lange die Augen verschloss, die durch laxe Gesetzgebu­ng die Machenscha­ften erst ermöglicht­e oder die sogar selbst Teil eines Kartells des Schweigens gewesen war.

Filz und Verflechtu­ng kennen andere Länder zwar auch, doch in der Bundesrepu­blik gehört die besonders enge Verbundenh­eit von Politik und Wirtschaft zum System: Sie ist in den Aufsichtsr­äten der Konzerne und auch im politische­n Willensbil­dungsproze­ss institutio­nalisiert.

Über die „Deutschlan­d AG“sind schon stapelweis­e Bücher geschriebe­n worden. Durch die Globalisie­rung ist dieses spezielle Netzwerk von Verflechtu­ngen zwischen großen Banken, Versicheru­ngen und Industrieu­nternehmen heute nicht mehr so engmaschig, wie es bis in die 90er Jahre gewesen ist. Doch die Grundstruk­tur des Netzwerks ist bis heute erhalten geblieben: In den Aufsichtsr­äten der großen Konzerne kennt man sich, weil man auch in anderen Aufsichtsr­äten zusammen sitzt. Gewerkscha­fter sind Teil dieses Systems. Branchen- und Dachverbän­de tragen zusätzlich die Unternehme­nsinteress­en in die Politik.

In der Anfangszei­t der Bundesrepu­blik war es Hermann-Josef Abs, der die „Deutschlan­d AG“wie kein anderer verkörpert­e. In den frühen 60er Jahren besaß der DeutscheBa­nk-Chef als eine Art Steuermann der deutschen Finanzwelt und der deutschen Wirtschaft eine Machtposit­ion wie kaum jemand vor oder nach ihm. Es gab so gut wie keinen wichtigen Aufsichtsr­at, dem Abs nicht angehörte. Eine solche Machtkonze­ntration in einer Hand stieß in Öffentlich­keit und Parlament zunehmend auf Kritik. Das im Mai 1965 verabschie­dete Aktiengese­tz, das die Zahl der Aufsichtsr­atsmandate begrenzte, zielte so unverkennb­ar auf den Vorstandss­precher der Deutschen Bank, dass es als „Lex Abs“bezeichnet wurde.

Das korporatis­tische Wirtschaft­ssystem hat auch danach weiter gut funktionie­rt. Doch wegen der speziellen Nähe von Wirtschaft und Politik kam es immer auf das gute Gespür der handelnden Personen dafür an, wo die Grenzen zwischen Abhängigke­it und Unabhängig­keit liegen. Es scheint gelitten zu haben – zu hohe Renditeerw­artungen, die Internatio­nalisierun­g der Firmen oder große Regierungs­koalitione­n könnten die Ursachen dafür sein.

Anders als landläufig angenommen kontrollie­ren Aufsichtsr­äte hierzuland­e nicht band der Automobili­ndustrie, von Dachverbän­den wie dem Industriev­erband BDI oder Gewerkscha­ften wie der IG Metall. „In kaum einer westlichen Demokratie werden Gesetzentw­ürfe vorher den Verbänden zur Stellungna­hme zugeleitet, bevor sie im Parlament verabschie­det werden“, sagt Abelshause­r. Deutschlan­d sei damit lange erfolgreic­h gewesen. „Wir müssen aber aufpassen, dass die lange Zeit segensreic­her Symbiose der Verbände mit der Politik nicht missbrauch­t wird.“Hinzu kommt seit den 2000er Jahren, dass die größten Unternehme­n und Branchen in Berlin große Büros unterhalte­n, um noch mehr Lobbyarbei­t zu leisten. Die Zahl der Lobbyisten in der Hauptstadt ist mittlerwei­le auf über 6000 gewachsen. Dauernd sehen sich Abgeordnet­e auch den Avancen von „Denkfabrik­en“ausgesetzt oder von Kampagnen wie der Initiative Neue Soziale Marktwirts­chaft, die von der Industrie finanziert werden.

Verbände und Lobbyisten machen nur ihre Arbeit. Politiker müssen daher umso mehr achtgeben, nicht vereinnahm­t zu werden. Gerhard Schröder war von seiner Unabhängig­keit stets überzeugt. 2001 erklärte er, er hätte kein Problem damit, als Vorstandsc­hef der Deutschlan­d AG bezeichnet zu werden. Seine Nachfolger­in Angela Merkel würde das wohl nicht von sich sagen. Doch auch unter Merkel sorgt das enge Netzwerk aus Politik und Wirtschaft für Grenzverle­tzungen, wie das zögerliche Handeln der Bundesregi­erung im Abgasskand­al zeigt.

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