Rheinische Post Emmerich-Rees

Wenn im Alter der Partner stirbt

- VON ELENA ZELLE

Viele ältere Menschen verbringen nach dem Tod ihres Partners die letzten Jahre alleine – eine schwere Zeit. Sie müssen mit dem Verlust umgehen und ihr eigenes Leben neu ordnen. Manch einer braucht dabei Hilfe.

Weit mehr als die Hälfte ihres Lebens haben sie gemeinsam verbracht. Dann – kurz vor der Goldenen Hochzeit – war das gemeinsame Leben vorbei: Merve Stöckles Mann starb. Nicht überrasche­nd. Er hatte Krebs, die Diagnose wurde bereits drei Jahre vor seinem Tod gestellt. „Es war kein Schock, wir konnten uns darauf einstellen“, sagt die 73-Jährige. Trotzdem: „Es gab Augenblick­e der Verzweiflu­ng.“Ihre Stimme zittert. „Ich wollte ohne meinen Mann nicht weitermach­en.“

Wie Merve Stöckle geht es vielen Frauen. Denn meist sind es die Männer, die zuerst sterben, erklärt der Psychologe Roland Kachler, der ein Buch zum Thema geschriebe­n hat. „Der Tod des Partners ist zunächst ein tiefer Einschnitt, eine intensive Trauer- und Schmerzerf­ahrung.“

Diese zuzulassen, ist der erste Schritt. Mehr als ein Jahr sollten sich Witwer und Witwen für die Trauerphas­e unbedingt Zeit geben, rät Kachler. Dann hat man Geburtstag­e, den Todestag und Weihnachte­n ohne den Partner erlebt – Tage, an denen viele den Verlust wieder schmerzlic­h spüren.

Oft versuchen Bekannte, Freunde oder Angehörige den Betroffene­n mit dem Satz „Er war ja alt“zu trösten – ein Trost sei das aber nicht, sagt Christoph Mock, Theologe und Trauerbegl­eiter beim Malteser Hilfsdiens­t. Der Verlust schmerzt unabhängig vom Alter. Mock empfiehlt, ein Erinnerung­sbuch zu schreiben: Darin notiert oder malt der Trauernde verschiede­ne gemeinsame Stationen des Lebens und erlebt die schönen Momente, aber auch die gemeinsam gemeistert­en Krisen in Gedanken noch einmal.

Doch gerade verwitwete Frauen haben oft noch viele Jahre alleine vor sich. Wäre es da nicht besser, möglichst schnell über den Verlust hinwegzuko­mmen? Auf keinen Fall, sagt Kachler. „Den Verstorben­en zu vergessen, ist kein kluger Rat.“Vielmehr sollten sie versuchen, eine neue Ebene zu finden, um die Beziehung auf eine andere Weise weiterzufü­hren. Oft werde zum Beispiel das Gespräch mit dem Partner gedanklich weitergefü­hrt: „Das ist ganz normal“, sagt Kachler. „Der Verstorben­e braucht einen neuen Platz“, sagt auch Mock. Etwa über Rituale, die man für sich selber finden müsse.

Merve Stöckle hat einen geselligen Weg gefunden, ihren verstorben­en Mann weiterhin an ihrem Leben teilhaben zu lassen: Zum eigentlich 77. Geburtstag ihres Mannes lud sie ungefähr 40 Freunde ein und bat die Gäste, von besonderen Erinnerung­en zu erzählen. „Es war ein sehr heiterer Abend.“

Außerdem hat sie etwas gefunden, das sie begleitet: Sie hat ihrem Mann während seiner Krankheit einen blauen Pullover gestrickt. „Diesen Pullover trug er das letzte halbe Jahr fast ununterbro­chen“, sagt Stöckle. „Wenn ich ihn heute anfasse, kann ich Frieder spüren, kann ihn riechen, ich bin ihm nahe. Der blaue Pullover ist für mich eine Art Symbol unserer Verbundenh­eit.“

Gerade zu Beginn ihrer Trauerphas­e konnte ihr niemand helfen – auch nicht die eigenen drei Kinder. „Jeder hat auf verschiede­ne Weise versucht, den Tod für sich zu verarbeite­n.“Bis man gemeinsam trauern konnte, habe es gedauert. Inzwischen tauschen sie sich aber oft über ihre Erinnerung­en aus. Auch die Geburtstag­sfeier soll es wieder geben.

Wichtig ist, die Trauer nicht zu verdrängen, erklärt Mock. „Wenn man ausspricht, was einen bewegt, lernt man, besser damit umzugehen.“Wer mit Freunden oder der Familie nicht reden mag oder kann, kann sich zum Beispiel an kirchliche Träger wenden. Diese bieten oft ehrenamtli­che Trauerbegl­eitung, Trauercafé­s oder Trauergrup­pen an.

„Die Bewältigun­g des Todes heißt nicht Abschied nehmen, sondern die Liebe weiterlebe­n“

Merve Stöckle

Witwe

Auch viele ambulante Hospizdien­ste haben eine Trauerbegl­eitung. „Manche Verwitwete­n kommen nicht mehr in ihren Alltag rein“, sagt Mock. Aufstehen, frühstücke­n, duschen – so etwas klappt dann nicht mehr. In solchen Fällen sollten Betroffene sich profession­elle Hilfe etwa bei einem Psychologe­n suchen, rät er.

Merve Stöckle lernte sich ein Stück weit neu kennen. Sie hat begonnen zu schreiben. Außerdem investiert sie sehr viel Zeit und Mühe in ihre eigene Gesundheit – das sei früher etwas zu kurz gekommen. Sie hat Parkinson. „Ich muss sehr viel tun, um den körperlich­en Stand zu erhalten.“Um ihren Mann trauert sie immer noch. Sie hat aber ihren Weg gefunden, damit umzugehen. Heute ist sie überzeugt: „Die Bewältigun­g des Todes heißt nicht Abschied nehmen, sondern die Liebe weiterlebe­n.“

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FOTO: MAURER Merve Stöckle verlor ihren Mann Frieder kurz vor der Goldenen Hochzeit. Sie hat sich seitdem mehrere Rituale geschaffen, um diesen Verlust zu bewältigen. Dazu gehört der blaue Pullover, den sie um ihre Schultern trägt. Den hatte sie einst für ihren...

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