Rheinische Post Emmerich-Rees

Merkels Stolperfal­len

- VON EVA QUADBECK

Der Wahlkampf 2017 erinnert nun doch an 2009 und 2013, als Angela Merkel ohne harte Auseinande­rsetzungen an der Macht blieb. Dennoch lauern bis zum 24. September Gefahren für die Dauer-Kanzlerin.

BERLIN Auf spontane Herausford­erungen reagiert Kanzlerin Angela Merkel meistens sehr vorsichtig. Ihre Strategie zur Vermeidung von Fehlern wirkt in solchen Situatione­n oft hölzern. Beim Townhall-Meeting von RTL am Sonntagabe­nd ist diese Art wie weggeblase­n. Merkel ist sehr gut vorbereite­t auf Bürger-Anliegen, und es gelingt ihr, Politik einfach aussehen zu lassen: die Flüchtling­shelferin, die alleinerzi­ehende Mutter, die Rentnerin mit schmalen Bezügen, der Asylbewerb­er – Merkel hat für alle Gäste der Sendung Antworten, die diese zumindest nicht frustriert zurücklass­en. Und auch wenn die Zeit knapp ist, kann sie ihre Stärke ausspielen: Detailkenn­tnisse auf allen Politikfel­dern.

Knapp fünf Wochen vor der Bundestags­wahl geht es den Sozialdemo­kraten wie dem Protagonis­ten in dem Kult-Film aus den 90er Jahren „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Während der Held im Film in einer Zeitschlei­fe festhängt und immer wieder den gleichen Tag erlebt, scheint ähnlich auch die SPD in einer Art Wahlkampf-Schleife zu hängen, in der sie immer wieder gegen die gleiche Strategie Merkels anrennt.

Während die Kanzlerin noch bei der Bekanntgab­e ihrer erneuten Kandidatur im Herbst davon sprach, dass sie eine „harte Auseinande­rsetzung“erwarte, haben nicht nur die Sozialdemo­kraten ein Déjà-vu mit Merkels Wiederwahl­en 2009 und 2013: Die Union liegt in den Umfragen mit sattem Vorsprung vor der SPD und es zeichnet sich keine Wechselsti­mmung im Land ab. Trägheit liegt über dem Wahlkampf.

Die Wahrschein­lichkeit, dass der ungleiche Wettbewerb ähnlich ausgeht wie vor vier und vor acht Jahren, ist hoch. Doch lauern auch für Merkel in diesem Wahlkampf 2017 einige Gefahren. Immer mehr Wähler entscheide­n erst kurz vor der Wahl, ob sie überhaupt zur Urne gehen und wo sie ihr Kreuz machen. Die Umfrage-Profis schätzen die Unentschlo­ssenen auf 40 Prozent. Die können natürlich auch wahlentsch­eidend sein.

Dass Stimmungen kippen und klare Favoriten am Ende verlieren können, zeigten zuletzt die Wahlen in Rheinland-Pfalz, wo 2016 die SPD-Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer überrasche­nd gegen die schon als Siegerin gesehene CDU-Vize-Chefin Julia Klöckner gewann. Auch die Aufholjagd des neuen NRW-Ministerpr­äsidenten Armin Laschet (CDU) gegen die Amtsinhabe­rin Hannelore Kraft (SPD) wirbelte alte Gesetzmäßi­gkeiten von Wahlen durcheinan­der. Für beide Fälle gibt es Erklärunge­n: Bei Dreyer war es die Flüchtling­skrise und bei Laschet die erhebliche Schwäche der amtierende­n Regierung, die jeweils beiden zum Sieg verhalf. Sie zeigten zugleich, dass die Wähler sensibel auf politische Fehler und Missstände reagieren.

Auch Merkel können noch eine Reihe von Umständen gefährlich werden – nicht zuletzt die verbleiben­den Tiefausläu­fer der Flüchtling­skrise. Antipathie, ja Hass gegen Merkel haben sich in einem kleinen Teil der Bevölkerun­g durch ihre Politik der offenen Grenzen festgesetz­t. Als sie vergangene Woche in Sachsen und in Thüringen im Wahlkampf auftrat, musste sie wüste Beschimpfu­ngen ertragen. „Volksverrä­ter“und „Hau ab“waren noch die milderen Meinungsäu­ßerungen. Ein großer Teil ihrer Gegner sammelt sich in der AfD, deren Bundestags­einzug als sicher gilt: In Umfragen liegen die Rechtspopu­listen derzeit bei sieben Prozent. Je nach Ereignisla­ge könnte die Zustimmung noch wachsen.

Sollte beispielsw­eise der türkische Präsident Erdogan in einer Kurzschlus­shandlung das Flüchtling­sabkommen mit der EU aufkündige­n, droht die Flüchtling­skrise nach Deutschlan­d zurückzuke­hren und Merkels Popularitä­t erneut zu sinken. Auch der für die Union so schädliche Konflikt zwischen CDU und CSU wäre sofort wieder virulent.

Dieser Wahlkampf ist auch schwer zu kalkuliere­n, weil gleich zwei Parteien der außerparla­mentarisch­en Opposition die Berliner Politik aufmischen. Neben der AfD ist das die FDP. Anders als in früheren Bundestags­wahlkämpfe­n setzt sich die FDP klar von der Union ab und bietet sich wohldosier­t als seriöse Alternativ­e für jene an, denen Merkels CDU zu links, zu grün, zu sozialdemo­kratisch geworden ist. Auch diese Konkurrenz ist für Merkel eine Gefahr.

Es gibt viele gute Gründe, warum Merkels Vertraute – Regierungs­sprecher Steffen Seibert und Beraterin Eva Christians­en – die Verhandlun­gen um das TV-Duell mit harten Bandagen geführt haben. Diese Form der konfrontat­iven Auseinande­rsetzung, bei der rhetorisch­e Stärke gefragt ist, liegt Merkel nicht. Sie hat das Format zu Recht als eine klare Stärke ihres Herausford­erers Schulz erkannt. So lässt sie sich nur auf ein einziges TV-Duell unter klaren Bedingunge­n ein. Denn die verbale Auseinande­rsetzung vor einem MillionenP­ublikum birgt für sie das Risiko, dass der SPD-Kanzlerkan­didat Boden gegenüber der Union gutmachen könnte.

Merkel muss zudem aufpassen, dass ihre Stärke, das Land in ruhigem Fahrwasser zu lenken, nicht zur Schwäche wird. Ihr unspektaku­lärer Politiksti­l macht es ihren Gegnern schwer, die eigenen Wähler zu mobilisier­en. Experten haben dafür den Fachbegrif­f der asymmetris­chen Demobilisi­erung erfunden – also dem Gegner so wenig Angriffsfl­äche bieten, dass seine Anhänger nicht zur Wahl gehen. Trotz eines angriffslu­stigen und rhetorisch starken SPD-Spitzenkan­didaten, trotz einer lautstarke­n außerparla­mentarisch­en Opposition und trotz vieler wichtiger Themen wie innere Sicherheit, Pflegenots­tand und Zukunft der Automobili­ndustrie bleibt dieser Wahlkampf merkwürdig ruhig. Für Merkel liegt darin die Gefahr, dass auch ihre eigenen Anhänger am 24. September zu Hause bleiben könnten – einfach weil sie es für selbstvers­tändlich halten, dass die Kanzlerin bleibt, was sie ist.

Dass Stimmungen kippen und Favoriten am Ende verlieren können, zeigten die Wahlen

in Rheinland-Pfalz

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