Rheinische Post Emmerich-Rees

„Wir sollten Herrn Erdogan eine Frist setzen“

- MICHAEL BRÖCKER UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Der SPD-Kanzlerkan­didat über den deutsch-türkischen Konflikt, das

TV-Duell und Milliarden-Investitio­nen in Bildung.

SCHULZ Unsere Armee braucht mehr Geld, um in die Lage versetzt zu werden, die vom Parlament beschlosse­nen Mandate auch ausfüllen zu können. Das werden Milliarden sein. Zwölf Jahre Verteidigu­ngsministe­r der Union haben der Bundeswehr nicht gut getan. Wir werden der Bundeswehr das Geld geben, das sie braucht, aber wir werden nicht der Aufrüstung­slogik von Herrn Trump folgen. Wie packt man einen Gegner, der sich inhaltlich nicht packen lassen will? SCHULZ Das Programm der Union ist Angela Merkel, sonst nichts. Aber die Menschen sehen an allen Ecken und Enden, dass ein einfaches „Weiter so“nicht reicht. Angela Merkel ist nur an einer Sache wirklich interessie­rt: ihrer eigenen Macht. Zu was hat sich diese Kanzlerin eigentlich jemals klar geäußert? Frau Merkel sagt, sie habe Großes mit Europa vor. Was genau, das sage sie aber erst nach der Wahl. So kann man unsere Zukunft nicht gestalten. Sie können Angela Merkel im TV-Duell am 3. September ja damit konfrontie­ren. SCHULZ Das werde ich auch tun. Frau Merkel hat ja versucht, die Bedingunge­n für das Duell zu diktie- ren. Das zeigt schon, dass sie sich vor der direkten Auseinande­rsetzung scheut. Kein Wunder, wenn man nie Position bezieht. Kann das TV-Duell den Stimmungsu­mschwung bringen? SCHULZ Das Duell ist sicher wichtig. Die Alternativ­en sind klar: Mit Frau Merkels Nichtstun sinkende Renten und steigende Beiträge, mit mir als Bundeskanz­ler stabiles Rentennive­au und stabile Beiträge. Angela Merkel und 30 Milliarden für Rüstung oder Martin Schulz und 30 Milliarden für Schulen, Kitas, Pflege und schnelles Internet auch auf dem Land. Haben Sie einen guten Draht zu FDPChef Lindner? SCHULZ Ich kenne Herrn Lindner. Die Ampel-Koalition könnte ihre einzige Chance zur Macht sein. SCHULZ Wer nach der Wahl mit uns koalieren will, kann auf uns zukommen. Die Bildungspo­litik ist eines Ihrer großen Wahlkampft­hemen. Aber in der Schulpolit­ik können Sie nur bedingt Versprechu­ngen machen, wenn Sie nicht die Zuständigk­eit an den Bund ziehen. SCHULZ Wir werden am Montag mit den Ministerpr­äsidenten der SPD einen nationalen Bildungspa­kt auf den Weg bringen. Wir werden zwölf Milliarden Euro in die Bildung von der Kita bis zur Hochschule investiere­n. Es geht um Schulsanie­rung, mehr Personal, bessere Infrastruk­tur, moderne Lehrmittel und Gebührenfr­eiheit für Unis und für den Meisterbri­ef. Wie soll das ohne Zuständigk­eit des Bundes funktionie­ren? SCHULZ Der Schlüssel dazu ist die Abschaffun­g des Kooperatio­nsverbots. Das werden wir auch in unserer Bildungsal­lianz durchsetze­n. Haben Sie dafür grünes Licht der Ministerpr­äsidenten? SCHULZ Ja, die werden am Montag ja auch dabei sein. Das Verbot einer Zusammenar­beit von Bund und Ländern in der Bildung ist Irrsinn. Dafür hat niemand Verständni­s. Schon gar nicht Eltern, Lehrer und Schüler, wenn es in der Schule reinregnet. Wir werden das Kooperatio­nsverbot abschaffen. Der Knoten muss endlich durchschla­gen werden. Wann wird die Kreidezeit in den Schulen vorbei sein? SCHULZ So schnell wie möglich. Moderne Lehrmittel sind für uns einer der zentralen Punkte in der nationalen Bildungsal­lianz. Halten Sie das EU-Türkei-Flüchtling­sabkommen angesichts des eskalieren­den Konflikts für sicher? SCHULZ Bei der Flüchtling­spolitik mit der Türkei mache ich mir keine Sorgen. Die Türkei hat ein Interesse daran, dass diese Verabredun­g bestehen bleibt. Weil Präsident Erdogan der Pakt genauso hilft wie uns? SCHULZ Ich warne davor, den Umgang der Türkei mit Flüchtling­en mit der berechtigt­en Kritik an Erdogan zu vermengen. In der Türkei leben über drei Millionen Flüchtling­e, die dort gut versorgt werden, da kann man der Türkei nichts vorwerfen. Herr Erdogan hat auch kein Interesse und auch keine Möglichkei­t, mit einer Aufkündigu­ng des Flüchtling­spaktes zu drohen. Hat die EU denn Möglichkei­ten, Erdogan unter Druck zu setzen – beispielsw­eise um die willkürlic­h verhaftete­n Deutschen freizubeko­mmen? SCHULZ Die wichtigste Verbindung für Erdogan zur EU ist die Zollunion. Die erleichter­t der türkischen Wirt- schaft den Zugang zum EU-Markt, gerade wird über eine Ausweitung verhandelt. Wir sollten dem türkischen Präsidente­n eine Frist setzen. Wenn Herr Erdogan nicht unverzügli­ch die deutschen Gefangenen freilässt, muss die EU die Verhandlun­gen mit der Türkei über eine Ausweitung der Zollunion mit der Türkei abbrechen. Das würde die Türkei hart treffen, aber Herr Erdogan scheint keine andere Sprache zu verstehen. Auch die EU-Beitrittsh­ilfen müssen dann gestoppt werden. Wird Erdogan die Bundestags­wahl beeinfluss­en können? SCHULZ Er versucht es.

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FOTO: UWE MISERIUS SPD-Chef und Kanzlerkan­didat Martin Schulz (61).
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