„Wir sollten Herrn Erdogan eine Frist setzen“
Der SPD-Kanzlerkandidat über den deutsch-türkischen Konflikt, das
TV-Duell und Milliarden-Investitionen in Bildung.
SCHULZ Unsere Armee braucht mehr Geld, um in die Lage versetzt zu werden, die vom Parlament beschlossenen Mandate auch ausfüllen zu können. Das werden Milliarden sein. Zwölf Jahre Verteidigungsminister der Union haben der Bundeswehr nicht gut getan. Wir werden der Bundeswehr das Geld geben, das sie braucht, aber wir werden nicht der Aufrüstungslogik von Herrn Trump folgen. Wie packt man einen Gegner, der sich inhaltlich nicht packen lassen will? SCHULZ Das Programm der Union ist Angela Merkel, sonst nichts. Aber die Menschen sehen an allen Ecken und Enden, dass ein einfaches „Weiter so“nicht reicht. Angela Merkel ist nur an einer Sache wirklich interessiert: ihrer eigenen Macht. Zu was hat sich diese Kanzlerin eigentlich jemals klar geäußert? Frau Merkel sagt, sie habe Großes mit Europa vor. Was genau, das sage sie aber erst nach der Wahl. So kann man unsere Zukunft nicht gestalten. Sie können Angela Merkel im TV-Duell am 3. September ja damit konfrontieren. SCHULZ Das werde ich auch tun. Frau Merkel hat ja versucht, die Bedingungen für das Duell zu diktie- ren. Das zeigt schon, dass sie sich vor der direkten Auseinandersetzung scheut. Kein Wunder, wenn man nie Position bezieht. Kann das TV-Duell den Stimmungsumschwung bringen? SCHULZ Das Duell ist sicher wichtig. Die Alternativen sind klar: Mit Frau Merkels Nichtstun sinkende Renten und steigende Beiträge, mit mir als Bundeskanzler stabiles Rentenniveau und stabile Beiträge. Angela Merkel und 30 Milliarden für Rüstung oder Martin Schulz und 30 Milliarden für Schulen, Kitas, Pflege und schnelles Internet auch auf dem Land. Haben Sie einen guten Draht zu FDPChef Lindner? SCHULZ Ich kenne Herrn Lindner. Die Ampel-Koalition könnte ihre einzige Chance zur Macht sein. SCHULZ Wer nach der Wahl mit uns koalieren will, kann auf uns zukommen. Die Bildungspolitik ist eines Ihrer großen Wahlkampfthemen. Aber in der Schulpolitik können Sie nur bedingt Versprechungen machen, wenn Sie nicht die Zuständigkeit an den Bund ziehen. SCHULZ Wir werden am Montag mit den Ministerpräsidenten der SPD einen nationalen Bildungspakt auf den Weg bringen. Wir werden zwölf Milliarden Euro in die Bildung von der Kita bis zur Hochschule investieren. Es geht um Schulsanierung, mehr Personal, bessere Infrastruktur, moderne Lehrmittel und Gebührenfreiheit für Unis und für den Meisterbrief. Wie soll das ohne Zuständigkeit des Bundes funktionieren? SCHULZ Der Schlüssel dazu ist die Abschaffung des Kooperationsverbots. Das werden wir auch in unserer Bildungsallianz durchsetzen. Haben Sie dafür grünes Licht der Ministerpräsidenten? SCHULZ Ja, die werden am Montag ja auch dabei sein. Das Verbot einer Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildung ist Irrsinn. Dafür hat niemand Verständnis. Schon gar nicht Eltern, Lehrer und Schüler, wenn es in der Schule reinregnet. Wir werden das Kooperationsverbot abschaffen. Der Knoten muss endlich durchschlagen werden. Wann wird die Kreidezeit in den Schulen vorbei sein? SCHULZ So schnell wie möglich. Moderne Lehrmittel sind für uns einer der zentralen Punkte in der nationalen Bildungsallianz. Halten Sie das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen angesichts des eskalierenden Konflikts für sicher? SCHULZ Bei der Flüchtlingspolitik mit der Türkei mache ich mir keine Sorgen. Die Türkei hat ein Interesse daran, dass diese Verabredung bestehen bleibt. Weil Präsident Erdogan der Pakt genauso hilft wie uns? SCHULZ Ich warne davor, den Umgang der Türkei mit Flüchtlingen mit der berechtigten Kritik an Erdogan zu vermengen. In der Türkei leben über drei Millionen Flüchtlinge, die dort gut versorgt werden, da kann man der Türkei nichts vorwerfen. Herr Erdogan hat auch kein Interesse und auch keine Möglichkeit, mit einer Aufkündigung des Flüchtlingspaktes zu drohen. Hat die EU denn Möglichkeiten, Erdogan unter Druck zu setzen – beispielsweise um die willkürlich verhafteten Deutschen freizubekommen? SCHULZ Die wichtigste Verbindung für Erdogan zur EU ist die Zollunion. Die erleichtert der türkischen Wirt- schaft den Zugang zum EU-Markt, gerade wird über eine Ausweitung verhandelt. Wir sollten dem türkischen Präsidenten eine Frist setzen. Wenn Herr Erdogan nicht unverzüglich die deutschen Gefangenen freilässt, muss die EU die Verhandlungen mit der Türkei über eine Ausweitung der Zollunion mit der Türkei abbrechen. Das würde die Türkei hart treffen, aber Herr Erdogan scheint keine andere Sprache zu verstehen. Auch die EU-Beitrittshilfen müssen dann gestoppt werden. Wird Erdogan die Bundestagswahl beeinflussen können? SCHULZ Er versucht es.