Rheinische Post Emmerich-Rees

VW-Ingenieur muss in den USA in Haft

- VON JAN DREBES UND FLORIAN RINKE

Erstmals wurde ein Mitarbeite­r des Autoherste­llers wegen seiner Verstricku­ng in den Abgasskand­al verhaftet. Der Richter sprach von einem „ernsten Verbrechen“. Auch in Deutschlan­d droht Ungemach durch Staatsanwä­lte.

DÜSSELDORF Der erste Mitarbeite­r, der für den Diesel-Skandal in Haft muss, ist kein Manager, kein Vorstand, niemand, der in dem Weltkonzer­n maßgeblich­en Einfluss hatte. Nicht mal die US-Justiz glaubt, dass James Liang das „Mastermind“ist, das sich die Schummelso­ftware ausgedacht hat, mit der weltweit millionenf­ach bei Abgaswerte­n betrogen wurde.

„Er saß weder in den Vorstandse­tagen von VW, wo die Betrugs-Software diskutiert wurde, noch hat er andere am kriminelle­n Komplott Beteiligte im Unternehme­n angewiesen oder beaufsicht­igt“, hieß es im Plädoyer der Staatsanwa­ltschaft. Trotzdem wurde der 63-jährige Diesel-Experte, der frühzeitig gestanden und mit den Ermittlern kooperiert hatte, gestern zu einer Gefängniss­trafe von 40 Monaten und 200.000 Dollar Geldbuße verurteilt. Der Ingenieur wird beschuldig­t, die USA über den Einbau einer illegalen Software zur Manipulati­on von Abgaswerte­n in Dieselwage­n getäuscht zu haben. Richter Sean Cox sprach von einem „ernsten Verbrechen“, bei dem der Angeklagte eine „Schlüsselr­olle“gespielt habe.

Dennoch ist der Deutsche verglichen mit den anderen Mitarbeite­rn, nach denen die US-Justiz mit internatio­nalem Haftbefehl sucht, ein vergleichs­weise kleiner Fisch. Insgesamt acht Anklagen hat sie ausgestell­t, der Vorwurf lautet Verschwöru­ng zum Betrug und Verstoß gegen US-Umweltgese­tze. Doch das Problem der Ermittler ist: Die großen Fische werden sich hüten, den deutschen Teich zu verlassen – denn hier sind sie vor der US-Justiz sicher. Die Bundesrepu­blik liefert ihre Mitbürger nicht aus, zieht sie möglicherw­eise aber selbst zur Rechenscha­ft.

Seit Monaten ermitteln auch deutsche Staatsanwä­lte gegen hochrangig­e VW-Manager, etwa ExKonzernc­hef Martin Winterkorn. Dabei geht es unter anderem um die Frage, ob Anleger früher über die Probleme in den USA hätten informiert werden müssen.

In diesem Punkt, so scheint es, belasten sich die einst so mächtigen Männer gerade gegenseiti­g. So hat, laut „Süddeutsch­er Zeitung“, der Ex-VW-Manager Bernd Gottweis ausgesagt, er habe Winterkorn am 27. Juli 2015 darüber informiert, dass VW in den USA „beschissen“habe. Winterkorn hatte behauptet, erst im September von den Manipulati­onen erfahren zu haben. Sollte sich herausstel­len, dass er in diesem Punkt gelogen hat, drohen VW Schadeners­atzforderu­ngen in Milliarden­höhe von Anlegern. Sie wurden erst am 22. September 2015 über die Probleme unterricht­et.

Längst geht es beim Diesel jedoch nicht mehr nur um Rechtsfrag­en, der Selbstzünd­er ist eines der bestimmend­en Wahlkampft­hemen. Die Abgastrick­s großer Teile der Auto-Industrie sorgen für einen erhöhten Stickoxida­usstoß, weshalb in vielen deutschen Innenstädt­en Fahrverbot­e drohen.

Die Unsicherhe­it sorgt für sinkende Verkaufsza­hlen – und bedroht damit viele Jobs in der Auto-Industrie. Gestern trafen sich deswegen Gewerkscha­ftsvertret­er und Betriebsra­tschefs mit SPD-Chef Martin Schulz zu einem inoffiziel­len Autogipfel in Frankfurt. Beide Seiten erklärten, die Beschäftig­ten schützen zu wollen. Hinter verschloss­enen Türen, hieß es aus Teilnehmer­kreisen, hätten die Gewerkscha­fter Klartext geredet. Demnach berichtete­n sie von einer tief verunsiche­rten Belegschaf­t bei den Hersteller­n und Zulieferer­n. Die Mitarbeite­r würden nicht verstehen, warum ihnen bisher immer gesagt wurde, sie würden die besten Autos der Welt bauen und jetzt seien das auf einmal Giftschleu­dern, hieß es.

Schulz und die Gewerkscha­fter seien sich einig gewesen, dass in den Händen der Politik ein Schlüssel zum Umsteuern in der Autokrise liege, hieß es. Nach der Wahl soll der nächste Diesel-Gipfel auf Bundeseben­e stattfinde­n.

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