Grüne: „Wir sollten weniger mit Verboten arbeiten“
Seit 2013 haben die Grünen bei elf Landtagswahlen verloren. Wie kommt die Partei wieder aus dem Tief ? Fragen an die Basis.
Die Landtagswahl 2016 in Rheinland-Pfalz kam zu einem ungünstigen Datum. Fünf Jahre zuvor hatten wir im Land 10,8 Prozent hinzugewinnen und unser Wahlergebnis auf 15,4 Prozent steigern können. Die Wahl stand damals unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe von Fukushima und der Proteste gegen Stuttgart 21 – Themen, die uns Stimmen gebracht und uns fünf Jahre später gefehlt haben. Wir müssen aufpassen, dass wir bei der Bundestagswahl nicht wieder zwischen die Fronten von CDU und SPD geraten. Um das zu verhindern, müssen wir Themen setzen – eines liegt ja auf der Hand: Gerade in Großstädten müssen wir für den Umstieg von Verbrennungsmotoren auf alternative Antriebe oder den Umstieg auf Öffentlichen Personennahverkehr werben. Als Grüne sollten wir weg von Einteilungen in Realos und Fundis. Mir geht diese Unterteilung gewaltig auf den Sack, ich will mich nicht zuordnen lassen – und Politik nur durch eine bestimmte Brille sehen. Die Flügeleinteilung bei den Grünen ist völliger Unfug. Und wir haben in SchleswigHolstein gesehen, dass uns die Auflösung dieses Schemas jede Menge Stimmen bringen kann.“ky Christian Viering (32), Chemikant und Betriebsrat, seit 2007 Mitglied bei den Grünen und Vorstandssprecher im Kreisverband Mainz. In keinem Bundesland haben die Grünen so viel verloren wie in Rheinland-Pfalz (-10,1 Prozent). Und in keinem Wahlkreis in Rheinland-Pfalz so viel wie in Mainz I (-17 Prozent). In größeren Landesverbänden gibt es viele Untergruppierungen, die miteinander konkurrieren. Ich habe den Eindruck, dass es den Grünen bei Wahlen eher schadet, wenn Kompromisse immer wieder diskutiert werden. In unserem Landesverband pflegen wir relativ flügelbefreit einen guten Umgang miteinander. Wir sollten weniger mit Verboten arbeiten – das schreckt Menschen ab. Viele Grüne haben viel Idealismus – und schießen dabei manchmal übers Ziel hinaus. Deshalb wirken wir auf manche Wähler spießig und verbissen. Wenn wir ein Stück davon aufgeben und zeigen, dass man grün wählen und dennoch Spaß haben kann – dann können wir was erreichen. Das hat sich bei der Wahl in Schleswig-Holstein gezeigt. Im Bundestagswahlkampf sollten wir darauf setzen, von der Autobranche den mittelfristigen Ausstieg aus dem Diesel zu fordern, da sind wir uns mit vielen Grünen in Stuttgart einig.“ky Johannes Albig (34), Diplom-Psychologe in einer Erziehungs- und Familienberatungsstelle, seit 2012 Mitglied der Grünen und Vorsitzender des Kreisverbandes Kiel. Seit die Grünen bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg im März 2016 genau 6,1 Prozent der Stimmen hinzugewonnen haben, haben sie bei allen Landtagswahlen verloren – am wenigsten jedoch in Schleswig-Holstein (-0,3). In Kiel-Nord erzielten sie dort mit 21 Prozent ihr bestes Zweitstimmenergebnis. Bei der Landtagswahl hat uns geholfen, dass Winfried Kretschmann so beliebt war und seine Familie bei uns in Sigmaringen zu Hause ist. Viele Menschen haben gemerkt, dass in Stuttgart ein neuer Politikstil gelebt wird. Ein grüner Landesvater kann nicht schaden. Kretschmann zeigt, dass er ein Ministerpräsident ist, der für alle spricht, nicht nur für uns Grüne. Das ist manchmal nicht leicht, weil er eben auch mal einen Spagat machen muss: So muss er Interessen abwägen, wenn es etwa darum geht, ob Autos mit Verbrennungsmotoren aus den Innenstädten verbannt werden sollen oder nicht. Natürlich haben uns nach unseren Wahlerfolgen Anhänger verlassen, denen wir zu bürgerlich geworden sind. Aber es gibt auch welche, denen wir zu sehr Veggie-Partei sind. Ich halte nichts davon, dass wir Menschen vorschreiben sollten, wie sie zu leben haben. Wir können darüber diskutieren, denn als Partei müssen wir auch mal rumspinnen. Unsere Regierungsmitglieder müssen das in pragmatische Politik umsetzen.“ky Klaus Harter (61), Sozialarbeiter bei der Suchtberatungsstelle, seit 2010 Mitglied der Grünen und aktuell Vorsitzender des Kreisverbandes Sigmaringen (in der Nähe des Bodensees). Bei keiner Landtagswahl seit 2012 bekamen die Grünen so viel Zuwachs wie in BadenWürttemberg (+6,1 Prozent). Und nirgendwo in BadenWürttemberg stiegen die Ergebnisse so wie im Wahlkreis Sigmaringen (+ 14,4
Prozent).