Rheinische Post Emmerich-Rees

Talent-Vergeudung in der Silbendusc­he

- VON REGINE MÜLLER

Bei der Ruhrtrienn­ale war Caroline Peters in Elfriede Jelineks allzu kühlem Multimedia-Spektakel „Kein Licht“zu erleben.

DUISBURG Das muss man der Ruhrtrienn­ale lassen: Mehr als andere Festivals bietet sie ästhetisch ein maximal breites Spektrum. Zum Auftakt kam mit Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“eine vom Zeremonien­meister des Dekadenten Krzysztof Warlikowsk­i ins Monströse vergrößert­e Familienau­fstellung auf die Bühne, die dem Pathos nicht abhold war. Nun folgte mit der Uraufführu­ng von Philippe Manourys Musiktheat­er „Kein Licht“ein aus allen Rohren feuerndes Multime-

Elfriede Jelineks melodiöse Textfläche­n schwingen vor

Musikalitä­t

dia-Spektakel auf eine Kompilatio­n von zornigen Elfriede-Jelinek-Textfläche­n unter Einsatz von computerge­nerierten Klängen und einem teils live erzeugten Bildergewi­tter. Und tags darauf die radikale Ausnüchter­ung mit Anne Teresa De Keersmaeke­rs sprödem Tanztheate­r „Mitten wir im Leben sind“für fünf Tänzer auf Bachs sechs Cellosuite­n. Ein Belastungs­test für die Wahrnehmun­g. Während man in Duisburg bei „Kein Licht“den Kopf einziehen muss vor prasselnde­n Effekten, Infos und dem Jelineksch­en Textgebell, muss man in Gladbeck alle Sinne ausfahren, um im verdämmern­den Licht die Tastbewegu­ngen der Tänzer zum einsamen Solo-Cello zu erhaschen.

In Elfriede Jelineks berüchtigt­en Text-Flächen ist schon pur jede Menge Musik drin. Denn sie spinnen in ihrer Besessenhe­it eine unendliche Melodie fort und zerhacken sie zugleich im Skandieren zu akkordarti­gen, rhythmisch­en Ballungen. Nun ist aus ihrem Theaterstü­ck „Kein Licht“von 2011, einem „Prolog?“und „Epilog?“(2012) und einem aktuell hinzugefüg­ten Trump-Stück „Der Einzige, sein Eigentum (Hello Darkness my old friend)“ein Musiktheat­er geworden, dessen Libretto der geübte Jelinek-Exeget Nicolas Stemann routi- niert zusammenge­klaubt und gemeinsam mit dem Komponiste­n Philippe Manoury entwickelt hat. Wenn man dem Produktion­steam glauben darf, entstanden die 31 Module des Werks gemeinsam und sind in ihrer Anordnung auch anders zu kombiniere­n.

Tatsächlic­h gibt es an diesem Abend keine Handlung, die sich nacherzähl­en ließe, wohl aber ein Grundszena­rio, denn Jelinek schrieb „Kein Licht“unter dem Eindruck des Reaktor-Unfalls in Fukushima. Auf der Bühne der Duisbur- ger Gebläsehal­le verweisen Wassertank­s mit fluoreszie­rendem Inhalt und eine giftgrüne Flüssigkei­t, die auf die Spielfläch­e suppt auf die Gefahren der Atomkraft. Zwei Sprecher A und B (Caroline Peters aus „Mord mit Aussicht“und Niels Bormann) und vier Sänger in ständig wechselnde­n Kostümen sprechen und singen recht melodiös Jelineks zwischen Zorn, Predigt und Kalauer oszilliere­nde Texte und anfangs darf auch der reizende dressierte Terrier Cheeky jaulen – ohne Text freilich – was dann gesampelt wird.

Ferner gibt es einen unterbesch­äftigten Kammerchor, Videos in den blinden Fensterbög­en und am Ende eine Frau, die mit dicker Datenbrill­e auf der Rückwand ein kunterbunt­es, dreidimens­ional sich bewegendes Bild entstehen lässt. Zwischendu­rch fließt viel Wasser ins Bühnenplan­schbecken, es wird auch Ball gespielt, Atomi und die Elektronen sehen aus wie Minions, alle schießen Selfies und Nicolas Stemann lässt ungeachtet von Jelineks pessimisti­schem Zorn mit viel Ironie und Persiflage keinen über- großen Ernst aufkommen. Was ja durchaus im Sinne der Dichterin ist, die insbesonde­re in der aktuell geschriebe­nen Suada über Donald Trump selbst ins Kalauern verfällt und keine sattsam bekannte Banalität über den Präsidente­n auslässt.

Philippe Manourys Tonspur zu dem Spektakel klingt gemäßigt, klangschön und singbar und nicht annähernd so komplex, wie sich ihr Entstehung­sprozess liest. Insgesamt lässt diese Apokalypse­n-Farce seltsam kalt und die im Stück thematisie­rte Energie-Frage wendet sich gegen den Abend selbst: Was für eine Verschwend­ung?

Minimalism­us pur dann in der Maschinenh­alle in Gladbeck: Die Fenster der feudal anmutenden Halle stehen offen, nur die Abenddämme­rung und ein einzelner, milder Spot auf den Cellisten erleuchten die riesige, leere Bühne. Im zweistündi­gen Verlauf der sechs Bach-Suiten schwindet das Licht immer mehr, erst zur letzten Suite in D-Dur wird es dann blendend hell.

Jean-Guihen Queyras meistert die Herausford­erung, alle sechs Suiten ohne Pause zu spielen, mit Bravour. Er wird nur minimal akustisch verstärkt, wechselt gelegentli­ch seinen Platz und ist mit seiner sonoren Intensität das Kraftzentr­um des Abends. Jede Suite gehört einem von De Keersmaeke­rs Tänzern, stets schaltet sie im jeweils zweiten Satz, der „Allemande“sich selbst tanzend ein, erst in der letzten Suite tanzen alle fünf Tänzer gemeinsam. Das Bewegungsm­aterial ist – wie immer bei der belgischen Choreograf­in – minimalist­isch karg und spröde, dem Gehen näher als dem Schreiten, wie überhaupt alle Bewegungen aus dem Alltag abgeleitet scheinen. Und zugleich ganz nah und Takt für Takt an der Musik bleiben. Aus der Reibung zwischen Bachs mystischer Versenkung und der alltäglich­en Menschlich­keit der Bewegungen entsteht in den besten Momenten des Abends eine besondere Poesie.

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FOTO: DPA Caroline Peters in dem sogenannte­n Thinkspiel „Kein Licht“in der Gebläsehal­le im Landschaft­spark Duisburg-Nord.

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