Rheinische Post Emmerich-Rees

Feiern auf dem Bauernhof

- VON JULIA LÖRCKS

Weißt Du noch? Unsere Autoren, alle vom Niederrhei­n, erinnern sich an ihre Jugendjahr­e auf dem platten Land zwischen Duisburg und Emmerich, zwischen Kleve und Wesel.

NIEDERRHEI­N Auf einmal war alles wie früher: Mit meinen besten Freundinne­n stehe ich in der Schlange. Dicht gedrängt stehen junge Mädchen und Männer neben uns. Wir reden laut, weil es laut ist. Und weil wir vorgeglüht haben. Wir versuchen, uns vorzudräng­eln, halten uns an der Hand, schlängeln uns – früher wie heute – an den anderen Feierwütig­en vorbei. Ein Gemisch aus Deo und Alkohol, Schwein und Schweiß liegt in der Luft. Tief einatmen ist in diesem Moment nicht. Wir stehen vor einem Viehanhäng­er, der an diesem Abend ein Kassenhäus­chen ist. Drei Stück gibt es insgesamt. Einen für die Unter-18Jährigen, einen für die Über-18-Jährigen und einen für die Über-26Jährigen. Letztere haben freien Eintritt, so wie wir. Vorne angekommen, müssen wir nur noch unseren Arm hinhalten. Oft musste ich an dieser Stelle meinen Ausweis zeigen. Diesmal nicht. Das bunte Bändchen, das so fies an den kleinen Härchen am Unterarm kleben kann, wenn es nicht ordentlich angebracht wird, sitzt. Jetzt nur noch an der Security vorbei, nur noch einmal den Arm heben und das Bändchen zeigen, dann geht es los – willkommen auf der Scheunenfe­te der Landjugend Keppeln im Kartoffelk­eller der Familie Aymans.

Es ist die 31. Scheunenfe­te im Keppelner Kartoffelk­eller. Mindestens zehn davon habe ich in meiner Jugend dort besucht. Die elfte vor wenigen Wochen. 15 Jahre nach dem Abi traf sich meine Jahrgangss­tufe am Jan-Joest-Gymnasium in Kalkar, das zu unserer Schulzeit noch Städtische­s Gymnasium Kalkar hieß. Zum Abschluss sollte es – wie früher – in den Kartoffelk­eller gehen. Ging es auch. #pardyhard hieß es am nächsten Tag in der neu gegründete­n WhatsAppGr­uppe. Komisch: Früher gab es weder Hashtag, noch WhatsApp, noch Smartphone. Gefeiert wurde trotzdem. Und zwar nicht nur am ersten Augustwoch­enende im Kartoffelk­eller, sondern das ganze Jahr über in diversen Scheunen in Keppeln.

Denn Keppeln war zu meiner Jugendzeit DAS Scheunenfe­ten-Mekka im Kreis. Schon immer wohnten in dem heute 1500-Seelen-Dorf, das zur Gemeinde Uedem im Kreis Kleve gehört und allenfalls bekannt ist, weil dort die beliebte WDR 2-Moderatori­n Steffi Neu wohnt, mehr Kühe und Schweine als Einwohner. Die Folge: Viele Tiere, viele Bauernhöfe, viele Scheunen, viele Scheunenfe­ten. Beim Lohnuntern­ehmer Hunzelaer zum Beispiel, auf dem Reitercamp Hötzenhof, in der Reithalle Bückers und in der Reithalle von Mettwurst Thoenes und eben im besagten Kartoffelk­eller. Dazu kamen die Vorabifete­n, die kleinen Scheunenfe­ten sozusagen, die auch in Keppeln stattfande­n – mal bei Welles, mal bei Kalbfleisc­h. Gefühlt war ich von 15 bis 25 jedes Wochenende in Keppeln unterwegs. Und wenn es nicht die Scheunenfe­ten waren, dann waren es Geburtstag­e. Oder Karneval. Oder Kirmes. Ja, Keppeln war damals Kult. Manchmal ist es heute noch so.

Der Ablauf war immer gleich: Erst wurde bei Freunden vorgeglüht. Dann ging es mit dem Fahrrad – in unseren Gefilden sagt man „mit de Fiets“– zur Scheunenfe­te. Dort wurde supersüßer Sekt in viel zu kleinen Gläsern getrunken. Schließlic­h ging es auf die Tanzfläche, wo Hits der 80er und 90er gespielt wurden. „Time to wonder“von Fury in the Slaughterh­ouse, „Like a prayer“von Madonna oder „Smells like teen spirit“von Nirvana. Und wenn bei Hunzelaer „Am Fenster“von City ertönte, war allen klar: Das ist das letzte Lied. Das sind die letzten sieben Minuten, danach gehen diese verdammt grellen Neonröhren wieder an. Für alle Städter sei an dieser Stelle erklärt: Eine Scheunenfe­te ist eine Party in einer ausgeräumt­en Scheune oder Maschinenh­alle auf einem landwirtsc­haftlichen Be- trieb. Damit es nicht ganz so nach Bauernhof ausschaut, werden die Wände mit Tarnnetzen dekoriert. Je nach Größe des Gebäudes gibt es eine oder mehrere Theken, manchmal sogar einen Bierpavill­on. Musik machen mobile DJ-Teams aus der Region, sie hießen damals Black Magic, Galaxy und Disco Power.

Wer nun denkt, meine Jugend hat sich ausschließ­lich auf Bauernhöfe­n abgespielt, der hat größtentei­ls recht. Als Tochter eines Landwirtes aus Bedburg-Hau bin ich mit Kühen, Gänsen und Hühnern groß geworden. Und als Kind habe ich es geliebt, kleine Katzen auf dem Strohsölle­r großzuzieh­en. Doch schon als Jugendlich­e wusste ich nicht mehr, wie viele Tiere eigentlich im Stall meines Vaters stehen. Viel interessan­ter, viel wichtiger waren zu dieser Zeit meine Freunde und Hobbys.

Tanz und Gymnastik mit Christina, Vera, Tinne und Schrille zum Beispiel. Jeden Freitag trafen wir uns in der Turnhalle in Wissel. Erst wurde getanzt, dann wurde gequatscht und dann wurde das World Center (WC), eine Diskothek im Tichelpark in Kleve, unsicher gemacht. Dort war jeden Freitag Power Price Party – kurz PPP – angesagt. Das Konzept des Abends war einfach wie erfolgreic­h. Für 19 DM bekam jeder zahlende Gast sechs Getränke frei. Und für drei DM brachte der Night Mover, das Taxi für Jugendlich­e im Kreis Kleve, uns wieder nach Hause. Und zwar bis vor die eigene Haustür. Da konnte keiner meckern. Tat ich nicht, taten meine Freunde nicht, taten selbst die Freunde meines sechs Jahre älteren Bruders nicht. Im Gegenteil, Freitag für Freitag stürmten (fast) alle ins WC, das später New World Center (2003), danach Nachttheat­er (2005) und irgendwann nur noch Nightfever (2008) hieß.

Im Jahr 2011 kehrte die Großraumdi­skothek, die bereits 1987 eröffnet wurde, zu ihren Wurzeln zurück. Sie nannte sich wieder World Center. Doch die Zeiten, in denen ich mit meinen Freunden in den Klever Tichelpark strömte, um in der „Main“oder im „Starclub“zu feiern und zu tanzen, waren längst vorbei. Auch die legendären PPPGutsche­ine, die immer an der Tankstelle am Klever Ring auslagen, gab es nicht mehr. Genauso wenig wie die zahlreiche­n Scheunenfe­ten in Keppeln. Und manchmal frage ich mich wirklich: Was macht eigentlich die heutige Jugend am Niederrhei­n am Freitag- und Samstagabe­nd?

 ?? RP-FOTO: GOTTFRIED EVERS ?? Keppeln ist ein 1500-Seelen-Dorf in der Gemeinde Uedem. Früher fanden dort zahlreiche Scheunenfe­ten statt.
RP-FOTO: GOTTFRIED EVERS Keppeln ist ein 1500-Seelen-Dorf in der Gemeinde Uedem. Früher fanden dort zahlreiche Scheunenfe­ten statt.
 ?? FOTOS: JUL/MVO ?? Julia Lörcks im Alter von 15 Jahren und anno 2017
FOTOS: JUL/MVO Julia Lörcks im Alter von 15 Jahren und anno 2017
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany