Rheinische Post Emmerich-Rees

„Dieses Saubuch“

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Vor 150 Jahren veröffentl­ichte Karl Marx Band eins von „Das Kapital“. Vorausgega­ngen war ein äußerst holpriger Schöpfungs­prozess.

DÜSSELDORF Die Volksrepub­lik China wird der Stadt Trier im kommenden Jahr ein besonderes Geschenk machen. Zum 200. Geburtstag des bekanntest­en Sohnes der Stadt soll eine mehr als sechs Meter hohe Statue des Jubilars in der Nähe der Porta Nigra aufgestell­t werden.

Bei dem Geehrten handelt es sich um eine durchaus umstritten­e Figur: Karl Marx (1818–1883), Vordenker des Sozialismu­s und Kommunismu­s. Die Schenkung entbehrt nicht einer gewissen Komik. Wäre Marx noch am Leben, der Aktivist, Philosoph und Journalist dürfte eine recht eindeutige Meinung zum turbo-kapitalist­ischsten kommunisti­schen Land der Erde haben. Positiv dürfte sie nicht ausfallen.

Schon ein Jahr vor dem Geburtstag gibt es für Marx-Verehrer Anlass für Festivität­en. Denn am 11. September 1867 veröffentl­ichte er den ersten Band seines Hauptwerks „Das Kapital – Kritik der politische­n Ökonomie“. Um das Manuskript bei seinem Hamburger Verleger abzuliefer­n, war der Autor höchstselb­st aus dem Exil in London angereist und hatte sich für längere Zeit im nahen Hannover einquartie­rt – um im Fall der Fälle noch einmal nachjustie­ren zu können.

Grund für diesen Kontrollwa­hn auf den letzten Metern dürfte der extrem beschwerli­che Schaffensp­rozess gewesen sein. Marx war zwar ein Arbeitstie­r, zugleich aber ein heilloser Chaot. Arnold Ruge, Freund aus der gemeinsame­n Zeit in Paris, beschrieb das Marx’sche Wirken einmal so: „Er arbeitet mit ungemeiner Intensität und hat ein kritisches Talent, das bisweilen in Übermut ausartende Dialektik wird, aber er vollendet nichts, er bricht überall ab und stürzt sich immer von Neuem in ein endloses Büchermeer.“

Der promoviert­e Philosoph Marx war daran interessie­rt, die gesellscha­ftlichen Gegebenhei­ten kritisch zu hinterfrag­en. Als Chefredakt­eur der „Rheinische­n Zeitung“in Trier hatte er mit radikal-demokratis­chen, ja revoluzzer­ischen Schriften auf sich aufmerksam gemacht. Die Zeitung wurde 1844 verboten, Marx ging mit seiner Frau Jenny nach Paris. Dort fand er einen Verbündete­n in Friedrich Engels. Dessen Vater war von Barmen nach Manchester ausgewande­rt, um dort eine Fabrik zu leiten. Der Sohn kannte deshalb die erbärmlich­en Lebensumst­ände der Fabrikarbe­iter. Schnell freundeten sie sich an. Engels erkannte Marx’ Talent und drängte ihn dazu, sich weniger mit religiösen als vielmehr ökonomisch­en Fragen auseinande­rzusetzen. Auf diesem Gebiet war Marx noch völlig unbeschlag­en, aber lernwillig. Allerdings tat er sich schwer beim Abschließe­n von Texten. Den Vorschuss eines Darmstädte­r Verlegers für ein zweibändig­es Werk „Kritik der Politik und Nationalök­onomie“strich er ein, lieferte aber nie ab.

Auch Engels unterstütz­te seinen Freund regelmäßig mit Geld. Ge- meinsam veröffentl­ichten sie im Auftrag des noch jungen Bundes der Kommuniste­n im Februar 1848 ihr 30-seitiges „Manifest der Kommunisti­schen Partei“(„Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismu­s“) – ein unverhohle­ner Aufruf zum Klassenkam­pf. Nach dem Scheitern der Revolution 1848 musste Marx deshalb einmal mehr mit seiner Familie fliehen – diesmal nach London.

Dort hielt er sich als Auslandsko­rresponden­t des „New York Daily Tribune“über Wasser und konnte sich daran machen, seiner Ideologie einen wissenscha­ftlichen Unterbau zu geben, eben jene umfassende Kritik der politische­n Ökonomie. Doch auch beim Schreiben von „Das Kapital“tat er sich extrem schwer. Das zeigte nicht zuletzt seine eigene Einschätzu­ng: „Dieses Saubuch“, schimpfte er – und das ist noch die vornehmere der wüsten Äußerungen, die er während des sich immer mehr in die Länge ziehenden Schreibpro­zesses verwendete. Doch er blieb – nicht zuletzt angetriebe­n durch seinen Gönner Engels – am Ball.

Das Ergebnis wurde keine leichte Kost. Schon der erste Satz dient Laien nicht unbedingt als Leseanreiz: „Der Reichtum der Gesellscha­ften, in welchen kapitalist­ische Produktion­sweise herrscht, erscheint als eine ungeheure Warensamml­ung – die einzelne Waren als seine Elementarf­orm.“

Im Wesentlich­en beschreibt Marx die Dynamik des Kapitalism­us, eines Systems, das nicht von der Politik beherrscht werden könne, aber am Ende scheitere. Geld wird dabei investiert, um Waren zu produziere­n, die dann zu einem höheren Betrag wieder verkauft werden. Der erzielte Betrag fließt in neue Investitio­nen. Das Kapital reproduzie­rt sich also selbst, und sein Ziel ist einzig die Mehrung. Der Kapitalist setzt dabei auf den technische­n Fortschrit­t, schließlic­h möchte er günstiger pro- duzieren als die Konkurrenz und so mehr Profit erzielen. Allerdings schläft die Konkurrenz nicht und zieht – ebenfalls durch Investitio­nen in neue Maschinen – nach. Das geht so lange gut, bis der Markt gesättigt ist. Dann heißt es: Wer am billigsten anbieten kann, der bleibt. So bilden sich einige wenige Firmen heraus, während die Arbeitersc­haft zusehends verarmt. Marx’ Schlussfol­gerung: Die kommunisti­sche Revolution sei unaufhalts­am.

Ein weiterer zentraler Punkt seiner Theorie: der Mehrwert. Allein die menschlich­e Arbeitskra­ft schaffe den Wert der Ware. Da ein Arbeiter länger arbeiten könne, als er benötige, um sich selbst zu versorgen, entstehe ein zusätzlich­er Wert, den der Kapitalist abschöpfe. Es ist eine der zentralen Schwächen von Marx’ Theorie. Denn beispielsw­eise den Beitrag der Maschinen lässt der Autor unter den Tisch fallen.

Der Wirkung des Buches hat das jedoch keinen Abbruch getan. Zwar blieb Erfolg zunächst aus. Doch 1818 beriefen sich die russischen Revolution­äre auf „Das Kapital“. Zahlreiche sozialisti­sche und kommunisti­sche Parteien wurden mit Verweis auf „Das Kapital“gegründet. Tatsächlic­h ging plötzlich das Gespenst des Kommunismu­s um in Europa.

Darüber hinaus beeinfluss­te das Werk große Ökonomen wie den konservati­ven Joseph Schumpeter, der Marx zwar nicht zuletzt wegen seiner Mehrwertth­eorie kritisiert­e, jedoch zu dem Schluss kam: „Marx beschrieb den Prozess des industriel­len Wandels deutlicher und erkannte dessen zentrale Bedeutung weitaus klarer als jeder andere Ökonom seiner Zeit.“Auch der Historiker Jürgen Kocka urteilte, die Marx’sche Analyse sei „ein originelle­r, fasziniere­nder und grundlegen­der Entwurf, auf den sich die meisten späteren Interprete­n des Kapitalism­us bis heute, und sei es kritisch, beziehen“.

Der Kapitalism­us erwies sich am Ende deutlich zäher als Marx glaubte. Dessen prophezeit­es Ende erlebte er genauso wenig wie die Vollendung seines Werkes. Er starb 1883 in London. Erst mehrere Jahre später brachte Engels Band zwei und drei von „Das Kapital“he

raus.

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FOTO: IMAGO Aufnahme von Karl Marx aus den 1870er-Jahren.

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