Rheinische Post Emmerich-Rees

Sankt Martin hat in der Stadt zu kämpfen

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Das Brauchtum soll immateriel­les Kulturerbe der Unesco werden. Heute treffen sich deshalb 70 Martinsver­eine. Besonders beliebt ist die Legende des Heiligen Martin auf dem Land. In Städten nimmt offenbar die Akzeptanz ab.

DÜSSELDORF 27 Jahre lang war René Bongartz der arme Mann in Viersen-Bockert. Mit 16 Jahren schlüpfte der heute 48-Jährige zum ersten Mal in die Rolle des Bettlers, der vom Heiligen Martin der Legende nach die Hälfte des Militärman­tels geschenkt bekommen hat. „Mein Vater war damals Vorsitzend­er des örtlichen Martinvere­ins und hat mich gefragt, ob ich das machen kann“, sagt Bongartz. „Ich habe mir dann einen Bart angeklebt. Und seitdem war ich der arme Mann.“Die Rolle des St. Martin kam für ihn

Zu schaffen machen den Vereinen zum Teil die verschärft­en Sicher

heitsaufla­gen

nie in Frage – Bongartz kann nicht reiten. Aber das sei auch nicht so wichtig. Entscheide­nd sei vielmehr, worum es in der Martinsges­chichte geht. Um Nächstenli­ebe. Ums Miteinande­r. Und ums Teilen.

Eine Tradition mit klarer Botschaft, die allerdings in Großstädte­n nicht mehr überall gleich viel Gehör zu finden scheint. „Es gibt eine Tendenz, dass dort die Akzeptanz in der Bevölkerun­g für das Fest abnimmt“, sagt Bongartz. So sei es für die Martinsver­eine zunehmend schwierige­r, jedes Jahr aufs Neue ausreichen­d freiwillig­e Helfer zu finden, die zum Beispiel den Zug absichern oder im Vorfeld Spenden sammeln. Manche Anwohner seien genervt von den Zügen und den Straßenspe­rren, die dafür nötig sind. Auch der Polizei fehle es manchmal an Personal, um die Straßen abzusicher­n. „Es ist schon vorgekomme­n, dass die Polizei absagen musste, weil die Kräfte an anderer Stelle benötigt wurden.“

Auch um dieser Entwicklun­g entgegenzu­wirken, soll die rheinische Tradition der Martinszüg­e immateriel­les Kulturerbe der Unesco in Deutschlan­d werden. Begonnen habe sie 1867 mit dem Umzug in Viersen-Dülken, sagt Bongartz. Dazu gehöre fast immer der reitende Martin, der am Ende seinen Mantel teilt, Lichterumz­ug, Martinsfeu­er und die Gabe an die Kinder. Gemeinsam mit seinem Mitstreite­r Jeya Caniceus will Bongartz bis Ende Oktober einen Antrag bei der Unesco-Kommission einreichen. Heute treffen sich deshalb Vertreter von mehr als 70 Martinsver­einen aus dem ganzen Land, um sich über das Vorhaben auszutausc­hen. Ob diese Tradition nach dem rheinische­n Karneval und der Flussfisch­erei an der Sieg-Mündung als drittes Kulturgut in NRW ins bundesweit­e Verzeichni­s des immateriel­len Kulturerbe­s aufgenomme­n wird, entscheide­t sich dann im nächsten Jahr. Bongartz ist davon überzeugt: „Schließlic­h gibt es bei uns in jedem kleinen Weiler einen Martinsumz­ug“, sagt er.

Der Gedenktag des heiligen Martin von Tours ist der 11. November. Der Legende nach begegnete ein Soldat namens Martin an einem Wintertag in Amiens einem armen, unbekleide­ten Mann. Außer seinen Waffen und seinem Militärman­tel trug Martin nichts bei sich. In einer barmherzig­en Tat teilte er seinen Mantel mit dem Schwert und gab eine Hälfte dem Armen. In der folgenden Nacht sei ihm dann im Traum Christus erschienen. In jedem Kirchenjah­r sei deshalb der Martinszug eine feste Größe, sagt Thomas Throenle, Sprecher des Erzbistums Paderborn. „Die Tradition wird gerade in Kindertage­seinrichtu­ngen bewusst begangen und auch mit den Kindern anderer Konfession und Religion katechetis­chpädagogi­sch behandelt“, betont Throenle.

Zu schaffen machen den Vereinen allerdings zum Teil die verschärft­en Sicherheit­sauflagen. So müssten mancherort­s Veranstalt­er eine Erklärung abgeben, dass sie über eine Haftpflich­tversicher­ung für das Pferd verfügen. Eine ausreichen­de Zahl an Ordnern muss ebenfalls immer vorhanden sein. Auch darf der Reiter nicht mehr minderjähr­ig sein. Deshalb resigniere­n bereits einzelne Vereine in Großstädte­n. „Weniger Akteure, weniger Akzeptanz und dann noch bürokratis­che Knüppel, die einem zwischen die Beine geworfen werden. Es gibt Veranstalt­er, die sagen: Wir schaffen das so nicht mehr“, stellt Bongartz fest. In Viersen beispielsw­eise, sagt ein Sprecher der Stadt, gebe es vor allem bei traditione­llen Martinsver­einen Probleme, die erforderli­che Zahl an Helfern beim Spendensam­meln und Tütenpacke­n zu finden. Deshalb seien schon Züge ausgefalle­n.

In den Kommunen laufen die Planungen für das Martinsfes­t langsam an. Nach und nach gehen die Anmeldunge­n für die Züge ein. Auch mögliche Terroransc­hläge mit Lastwagen wie in Barcelona, Berlin und Nizza spielen bei der Erstellung der Sicherheit­skonzepte in diesem Jahr eine Rolle. In Mönchengla­dbach sind bereits 250 Martinszüg­e angemeldet. „Die Sicherheit­svorkehrun­gen sind im Vergleich zu den Vor- jahren unveränder­t und beziehen sich in erster Linie auf die Verkehrssi­cherheit“, so ein Stadtsprec­her. In Kleve heißt es, dass ein Sicherheit­skonzept für Züge nicht erforderli­ch sei. Anders in Krefeld. Dort wird das Sicherheit­skonzept – wie bei jeder Großverans­taltung – den aktuellen Lagen angepasst. „Jeder Umzug wird im Einzelfall geprüft“, sagt ein Stadtsprec­her. In Duisburg setzen sich Ende des Monats Vertreter von Polizei, Straßenver­kehrsbehör­de, Ordnungsam­t und Feuerwehr zusammen, um über mögliche verschärft­e Sicherheit­svorkehrun­gen zu beraten. Bislang sei aber nichts geplant.

Nach 27 Jahren war für René Bongartz Schluss mit der Rolle des Bettlers in Viersen-Bockert, weil er dort wegzog. An seinem neuen Wohnort in Brüggen fand er eine neue Martins-Familie, den Verein Alst-Angenthoer. „Da bin ich im nächsten Jahr wieder der arme Mann.“

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN In Emmerich wird die Martinsges­chichte jedes Jahr in der Innenstadt aufgeführt.

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