Rheinische Post Emmerich-Rees

Auf der Flucht: So fühlt es sich an

- VON MONIKA HARTJES

Der Missio-Flucht-Truck steht momentan vor der Martinikir­che. Damit sollen junge Leute verstehen lernen, wie es ist, auf der Flucht zu sein.

EMMERICH 240 Asylsuchen­de gibt es derzeit in Emmerich. „150 haben bisher einen positiven Asylbesche­id bekommen, sie können perspektiv­isch bleiben“, sagt Vera Artz, Mitarbeite­rin der Stadt Emmerich. Flucht und die Aufnahme von Flüchtling­en sind auch in Emmerich also nach wie vor ein Thema. Seit Mittwoch besteht die Möglichkei­t, im Missio-Flucht-Truck vor der Martinikir­che einen Eindruck davon zu bekommen, wie es sich anfühlt, auf der Flucht zu sein.

Den Truck „Menschen auf der Flucht“gibt es seit 2012, er richtet sich vor allem an Schüler ab der achten Klasse. Er wird so stark frequentie­rt, dass das Internatio­nale Katholisch­e Missionswe­rk Missio mittlerwei­le sogar einen zweiten Truck eingericht­et hat. „„Wir sind froh, dass wir diesen Lkw von Mittwoch bis Freitag bei uns vor der Martinikir­che stehen haben“, zeigte sich sich Pastoralre­ferent Ludger Damen gestern denn auch erfreut. In Kooperatio­n mit dem Caritasver­band Kleve sei das gelungen. Verschiede­ne Gruppen der Gesamtschu­le und des Willibrord-Gymnasiums hatten sich angemeldet. Auch Ehrenamtli­che der Caritas und Diakonie besuchten die Ausstellun­g.

Weltweit sind Millionen Menschen auf der Flucht. Dennoch ist das Schicksal der Flüchtling­e weit entfernt vom Alltag der meisten Jugendlich­en in Deutschlan­d. Im Missio-Truck werden die Besucher am Beispiel von Bürgerkrie­gsflüchtli­n- gen im Ostkongo für die Ausnahmesi­tuation sensibilis­iert.

„In unserem Truck schlüpfen die Schüler in die Rolle eines Flüchtling­s und können nachempfin­den, wie es sich anfühlt, auf der Flucht zu sein“, erklärt Truck-Begleiteri­n Pia Strunk. Da gibt es beispielsw­eise Christiell­e, Studentin, 28 Jahre oder Taxibusfah­rer Christian. Eine weitere Rolle ist Eric, 18 Jahre, Schüler, der später, wenn er genug Geld hat, Maschinenb­au studieren möchte. Acht Rollen stehen zur Wahl.

Der Besucher sucht sich zu Beginn des Rundgangs die Karte eines dieser Bewohner der kongolesis­chen Stadt Bukavu aus und entscheide­t sich damit für eine Identität, die er während seiner Zeit im Truck annimmt. Dann beginnt die Flucht bei einem Kirchenbes­uch. Man hört Schüsse und wildes Geschrei. Der Besucher muss sich unter Zeitdruck entscheide­n, welche Dinge er mitnimmt. Ist es wichtiger, den Pass mitzunehme­n oder die Schulzeugn­isse? Etwas zu essen, Kleidung oder das Notizbuch mit Adressen von Familie und Freunden?

Dann geht es, simuliert an einem Computerbi­ldschirm, in einem klapprigen Bus vorbei an brennenden Häusern raus aus der Stadt. Nach und nach erfährt der Besucher über Kopfhörer mehr über die Fluchtursa­chen im Kongo und die Ängste der Flüchtling­e. Viele haben ihre Familie verloren, wurden Opfer von Gewalt, und fühlen sich oft einsam und alleine. „Einige Flüchtling­e, die unseren Truck besuchten, sagten, dass sie diese Ängste sehr gut nachempfin­den konnten. Aber auch die anderen Schüler wurden zum Nachdenken angeregt“, sagt Pia Strunk.

Mit einem Blick in den Spiegel und der Frage „Und was kannst du tun?“wird der Besucher dann gedanklich wieder nach Deutschlan­d geschickt. Die Ausstellun­g möchte auch Handlungsm­öglichkeit­en aufzeigen, wie die Situation von Geflohenen in Deutschlan­d verbessert werden kann. So werden Beispiele genannt, die auch für junge Leute geeignet sind – zum Beispiel Gruppen und Vereine für Flüchtling­e öffnen und helfen, dass sie schnell die deutsche Sprache lernen.

„Durch die Rolle, die die jungen Besucher annehmen, findet ein Perspektiv­wechsel statt. So sehen sie die Situation der Flüchtling­e aus deren Sicht und erleben hautnah Ängste und Bedrohung“, sagte Pia Strunk bei den Gesprächen zur Nachbereit­ung.

Für heute haben sich noch einmal drei Klassen sich für einen Besuch im Missio-Truck angemeldet. „Wenn sehr großes Interesse besteht, werden wir versuchen, den Truck noch einmal für unsere Kirchengem­einde zu bestellen“, sagte Pastoralre­ferent Damen.

Schüsse und wildes Geschrei. Was nehme ich mit: Pass oder Zeugnis? Etwas zu essen oder

das Notizbuch?

Newspapers in German

Newspapers from Germany