Viva Colonia und Chaos
Mehr als 10.000 Kölner Fans bevölkern London, weil der „Effzeh“beim FC Arsenal sein erstes Europapokalspiel seit 25 Jahren bestreitet. Erst ist es friedlich, abends gibt es Krawalle, der Anpfiff wird verschoben. Am Ende verliert Köln 1:3.
LONDON Darauf mussten sie 25 Jahre warten. Tausende „Effzeh“-Fans stehen auf den Highbury Fields, einer Grünfläche in London. Um 17.30 Uhr Ortszeit setzt sich die Masse in Bewegung und schiebt sich Richtung Stadion. Von feuchtfröhlichen Stunden im Pub gezeichnet, bahnt sich der Fanmarsch lautstark singend und klatschend seinen Weg. „Europapokal, wir spielen wieder Europapokal“, hallt es durch die Gassen im Norden Londons.
„Vergiss Weihnachten und Ostern, das ist der Feiertag des Jahres“, sagt ein leicht taumelnder, aber glücklicher Anhänger. Der 1. FC Köln wird sich später bei der Rückkehr ins internationale Fußball-Geschäft und der Premiere in der Europa League beim FC Arsenal gut verkaufen, Jhon Cordoba sogar aus 40 Metern die Führung erzielen. Am Ende wird es aber 3:1 heißen, da der Ex-Schalker Sead Kolasinac, Starspieler Alexis Sanchez und Héctor Bellerín die Partie drehen. Der Tag wird dennoch in Erinnerung bleiben.
Die Londoner Polizei ist etwas überrascht vom Fan-Ansturm aus Deutschland. Kurzfristig müssen für den Marsch Straßen gesperrt, Autos und Lastwagen umgesetzt werden. Vor dem Stadion kommt es dann zu chaotischen Szenen. Als 30 bis 50 Kölner Fans versuchen, den Gästeblock zu stürmen, gibt es vier Festnahmen. Als weitere Folge wird der Anpfiff der Partie um eine Stunde nach hinten verlegt, neue Sicherheitskräfte werden zum Stadion beordert.
Sogar eine Absage der Partie steht im Raum. Die Begründung der englischen Verantwortlichen: Das sei im Interesse der Sicherheit der Massen an Fans, die zeitgleich in die Arena strömen. Der Einlass wird deswegen auch rundherum erst mal komplett geschlossen. Kölner, die Karten für den Heimbereich und neutrale Blöcke haben, sollen ausgesiebt werden. Als der Zugang gewährt wird, kommt es im Stadion zu Rangeleien zwischen Kölnern, Engländern und Ordnern.
Am Mittag ist die Stimmung noch weitaus gelassener. Um zu verstehen, welche Bedeutung dieses Ereignis für einen echten Kölner hat, reicht die Geschichte von Michael. Der IT-Fachmann hatte sich vor Jah- ren in seinen Arbeitsvertrag schreiben lassen, dass er Sonderurlaub bekommt, sollte sich der Effzeh irgendwann einmal für einen internationalen Wettbewerb qualifizieren. Mit dieser Art Lebensgefühl machen sich geschätzt mehr als 10.000 Kölner auf den Weg in die englische Hauptstadt. Nur 2.900 haben offiziell über ihren Verein Tickets für das knapp 59.000 Zuschauer fassende Emirates-Stadion erhalten. 20.000 gaben Bewerbungen ab. Die Kartennachfrage beim von der Champions League verwöhnten Arsenal-Publikum hielt sich hingegen stark in Grenzen. Und so besorgen sich viele Kölner Anhänger schließlich Eintrittskarten über andere Wege. Am Ende sind rund 8000 Effzeh-Anhänger im Stadion.
Zu ihnen gehören auch Ralf, Tim und Laura. Sie stehen am frühen Nachmittag wie Hunderte Anhänger im Stadtteil Vauxhall südlich der Themse vor dem Pub „Zeitgeist – Jolly Gardeners“. Vater, Sohn und Freundin aus Köln-Sülz zahlten umgerechnet knapp 80 Euro (Originalpreis 30 Euro) an ein Mitglied von Arsenal pro Karte für den Block oberhalb der Gästefans. Die Warnung, dass Kölner Fans der Zutritt zu anderen Blöcken verwehrt werden soll, werden die drei am Abend mit einem Trick umgehen: Alle haben sich einen Arsenal-Schal gekauft. Das FC-Europapokaltrikot wird unter einer Jacke versteckt.
Leiter des Jolly Gardeners ist Angelo Orselli. Seit fünf Jahren lebt der gebürtige Kölner „der Liebe wegen“in London. Im typisch britischen Pub ist alles „op kölsch“getrimmt: kölsche Dekoration, kölsches Liedgut und – natürlich – Kölsch aus Fass und Flasche. Während „Viva Colonia“von den Höhnern aus den Boxen röhrt, beißen die Fans in Mettbrötchen und Frikadellen. Das Flaschen-Kölsch ist noch vor 13 Uhr ausverkauft.
Dann muss Orselli plötzlich schnell aus dem Laden. Die Polizei ist soeben mit vier Mannschaftswagen angerückt. „Reine Vorsichtsmaßnahme, weil so viele Leute auf der Straße stehen“, versichert ein Beamter. Die Polizisten mutieren schließlich zur Touristenattraktion, lassen ein Fotoshooting nach dem anderen über sich ergehen. Bis dahin ist es noch ein ausschließlich freundschaftlich, friedliches Miteinander.