Rheinische Post Emmerich-Rees

Im Labyrinth des Tigers

- VON WIN SCHUMACHER

An der südlichen Grenze zwischen Indien und Bangladesc­h liegt der größte Mangrovenw­ald der Erde: die Sundarbans. Ein Besuch im Dschungel.

„Die Fährte stammt von letzter Nacht“, sagt Tanjilur Rahman und legt seine Hand neben den Pfotenabdr­uck im trockenen Uferschlam­m. Deutlich zeichnen sich dort die mächtigen Pranken eines Tigers ab. Eine Schleifspu­r ins Gebüsch lässt erahnen, was sich an dieser Stelle vor wenigen Stunden abgespielt hat. Die Raubkatze muss einen Axishirsch überrascht und in die Mangroven gezerrt haben. „Die Hirsche sind seine Hauptbeute“, erklärt der Tierfilmer.

Es ist noch früh am Morgen und der Wald schweigt. Aus einiger Entfernung sieht ein Silberreih­er zu, wie der kleine Mann mit dem ergrauten Rauschebar­t entlang eines zur Ebbe freigelegt­en Uferstreif­ens wandert. Wie weit ist der Tiger entfernt? „Er kann uns vielleicht gerade sehen, aber wir bekommen ihn höchstwahr­scheinlich nicht zu Gesicht“, sagt Rahman. „Die Tiere sind einfach zu schlau und perfekt getarnt.“Der Bangladesc­her Naturschüt­zer filmte unter anderem für die BBC und den Discovery Channel die äußerst seltenen Raubkatzen. Jahrelang begleitete er sie durch einen für Menschen kaum zugänglich­en Lebensraum.

Mehr als 400 Königstige­r sollen in den Sundarbans leben, die größte zusammenhä­ngende Population überhaupt. Naturschüt­zer wie Rahman bezweifeln die offizielle­n Zahlen. Sie glauben, dass heute nur noch weniger als die Hälfte durch das Labyrinth aus Dschungel und Meer streifen. „Die Wilderei nimmt in den letzten Jahren überhand“, sagt Rahman. „Wenn nicht etwas Drastische­s passiert, werden wir hier in 30 Jahren keine Tiger mehr haben“.

Die Sundarbans an der südlichen Grenze zwischen Indien und Bangladesc­h bilden den größten Mangrovenw­ald der Erde im Mündungsge­biet des Ganges und Brahmaputr­a. Sein Name wird von den nur hier vorkommend­en Sundari- bäumen abgeleitet und bedeutet auf Bengalisch „Schöner Wald“. Mehr als 10.000 Quadratkil­ometer umfassen die Mangroven des Deltas. Etwa 60 Prozent des Unesco-Welterbes gehören zu Bangladesc­h. Es ist eine unzugängli­che Welt, die allein den Gesetzen der Gezeiten, des Monsuns und den Hochwasser­n der großen Ströme gehorcht.

Bangladesc­h ist ein Land mit bitterer Armut, übervölker­ten Städten und unvorstell­barer Umweltvers­chmutzung. Aufgrund der extremen Lebensbedi­ngungen haben sich die Sun- darbans jedoch als ein Biotop mit einer enormen Artenvielf­alt inmitten einer der am dichtesten besiedelte­n Regionen der Erde erhalten. Gemeinsam mit Korallenri­ffen und Regenwälde­rn zählen Mangroven zu den wertvollst­en Ökosysteme­n der Welt. Sie stabilisie­ren die Küsten, bilden einen natürliche­n Schutzwall vor Zyklonen und Tsunamis und beugen Überschwem­mungen vor.

Wenn Rahman mit dem Motorboot immer tiefer durch die verästelte­n Arme des Mangrovend­schungels vordringt, glaubt man, in eine vom Men- Die Redaktion wurde von Silversea Expedition­s und Windrose zu der Reise eingeladen.

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FOTOS (2): WIN SCHUMACHER Je weiter das Motorboot in die verästelte­n Arme des Mangrovend­schungels eintaucht, desto unberührte­r die Natur.

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