Rheinische Post Emmerich-Rees

Temeswar putzt sich heraus Im rumänische­n Temeswar boomt die Wirtschaft, und auch die ländliche Idylle ist nicht weit. Die Europäisch­e Kulturhaup­tstadt 2021 hat viel zu bieten. Viele historisch­e Gebäude strahlen bereits wieder im vorsoziali­stischen Glanz.

- VON ANJA KÜHNER

Dornrösche­n wacht gerade auf. Nur dass es einen anderen Namen trägt: Temeswar – Timisoara auf Rumänisch. Die Stadt im Banat, dem westlichst­en Teil Rumäniens an der Grenze zu Ungarn und Serbien, ist zur Europäisch­en Kulturhaup­tstadt 2021 bestimmt worden. Diese Wahl gilt als Startschus­s zur Stadterneu­erung. Dabei hat sich Temeswar schon herausgepu­tzt: Domplatz, Freiheitsp­latz und die Gassen der historisch­en Altstadt wurden frisch gepflaster­t, etliche der prachtvoll­en Palais strahlen bereits wieder im vorsoziali­stischen Glanz. Doch ebenso viele Häuser warten noch auf eine Schönheits­kur.

Wiener Barock, Wiener Secession und Jugendstil allerorten – nicht umsonst sprach man früher von „Klein-Wien“. „Wir sind die rumänische Stadt mit der meisten historisch­en Bausubstan­z“, schwärmt CityGuide Ludovic Samarti. Die Ringstraße um die verkehrsbe­ruhigte Altstadt erinnert ebenfalls an die k. und k.-Zeiten der Donaumonar­chie. Heute leben etwa 10.000 Menschen in und um Temeswar, die Deutsch als Mutterspra­che angeben: die Banater Schwaben. Deutsche Spuren finden sich überall: Am Domplatz ist die „Buchhandlu­ng am Dom“, gegenüber eine „Apotheke“, das Deutsche Staatsthea­ter Temeswar bringt ebenso Klassiker wie moderne deutsche Stücke auf die Bühne. Stolz sind die Bewohner auch auf das deutsche Gymnasium Nikolaus Lenau. Dort drückten mehrere Nobelpreis­träger die Schulbank, unter anderem die Schriftste­llerin Herta Müller und der Chemiker Stefan Hell. An der Universitä­t kann man auf Englisch studieren. Nachdem die große Auswande- rungswelle der Banater Schwaben in den 1990er-Jahren vorbei ist, ziehen immer mehr Deutsche zurück in die Region.

Um Temeswar liegt ein Ring aus Industrieh­allen. Auch Autozulief­erer wie Hella und Mahle tragen dazu bei, dass die Arbeitslos­enquote nur bei einem Prozent liegt. „Die niedrigen Lebenshalt­ungskosten führen dazu, dass hier die Lebensqual­ität höher ist als in Deutschlan­d“, sagt Andreea Kremm vom Vorstand des Deutschspr­achigen Wirtschaft­sclubs Banat.

In mehreren Wellen wurden einst Deutsche in der Grenzregio­n vor den Karpaten angesiedel­t. Die armen Bauern dienten als Bollwerk gegen die Türken. Ihre schachbret­tartig angelegten Dörfer lassen sich aus der Luft gut von den organisch gewachsene­n rumänische­n Nachbarort­en unterschei­den. Erst bei einem Rundflug fällt auf, wie flach das Banat ist. Es gehört zur pannonisch­en Tiefebene, die sich vom Osten Österreich­s bis zu den Höhenzügen der Karpaten erstreckt. Als „50 Shades of Green“beschreibt Ludovic die Vielfalt der Grüntöne von Feldern, Wiesen und Wäldchen.

Wer Temeswar gen Osten verlässt, fährt auf einer nagelneuen Autobahn. Abfahrt Recas: Linker Hand ist das Grün der Weinreben zu sehen. Im ebenso neuen Hauptgebäu­de lädt das Weingut Cramele Recas zur Weinprobe. Dank australisc­her Önologen kann die Qualität auf internatio­nalem Niveau mithalten. Auf der Messe ProWein in Düsseldorf ist das Weingut regelmäßig vertreten.

Wo die Autobahn noch in einer großen Baustelle mündet, ist das ländliche Rumänien erreicht. In Margina bieten Einheimisc­he ein deftiges Frühstück mit lokalen Spezialitä­ten wie Würsten, Käse und selbstgeba­ckenem Brot und Kuchen. Was aussieht wie Öl, ist der Verdauungs­schnaps. Vor der Tür wartet schon das Pferdegesp­ann mit Leiterwage­n, der zu einer Kutschfahr­t einlädt.

Ein pensionier­ter Lehrer kümmert sich leidenscha­ftlich ums Heimatmuse­um, ein Jäger zeigt stolz seine Trophäensa­mmlung inklusive Wolf und Bär. Gepflegte Grabsteine bewachen zahllose historisch­e Holzkirche­n am Wegesrand. Beim Bau der steinernen Kirche in Densus wurden die Marmorsäul­en von römischen Tempeln und Aquädukten recycelt. Eine Kuhherde blockiert auf der Fahrt zum katholisch­en Wallfahrts­kloster Maria Radna die Straße – gut, dass man vorher mit zwei PS so herrlich entschleun­igt hat.

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FOTO: THINKSTOCK/REPISTU Der Domplatz von Temeswar hat sich schmuck herausgepu­tzt mit neuem Pflaster und frisch renovierte­n Häusern.

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