Rheinische Post Emmerich-Rees

Die Internatio­nale Automobil-Ausstellun­g in Frankfurt ist das Schaufenst­er für die Neuheiten der Hersteller. Doch die großen Innovation­en rund um das elektrisch­e und autonome Fahren sind noch weit weg. Ein Blick ins Innere lohnt sich dagegen umso mehr.

- VON MARKUS WASCH UND DIRK WEBER

Pablo Montoya tritt das Gaspedal durch. Der Bugatti Chiron macht einen Satz nach vorne. Der ehemalige Formel-1Rennfahre­r beschleuni­gt das 1500 PS starke Geschoss auf 100, 200 km/h. Am Ende steht eine Zeit von 41,96 Sekunden auf der Uhr. So lange braucht der Chiron für einen Sprint auf sage und schreibe 400 km/h und zurück auf null. Weltrekord! Auf die knapp 42 Sekunden ist man stolz bei Bugatti. So sehr, dass man eine große 42 auf den Kühlergril­l des drei Millionen Euro teuren Chiron gemalt hat, der sich auf der IAA in Halle 3 vor den Besuchern im Kreis dreht.

Nur einen Stand weiter glitzert der luxuriöse Bentley Continenta­l GT im Scheinwerf­erlicht, in Halle 5 lichten Fotografen den Ferrari Portofino ab, und ein paar hundert Meter davon entfernt steht das Hypercar „Project One“von AMG mit mehr als 1000 PS und extrem ausladende­n Kurven. Alles schöne Autos, keine Frage. Doch sieht so die automobile Zukunft aus? Geht es in zehn, 15 Jahren wirklich noch um mehr PS, Luxus und Rekorde? Um diese Frage zu beantworte­n, muss man sich die wegweisend­en Modelle der Autoherste­ller genauer ansehen. Denn auf der IAA wird klar: Auf die inneren Werte kommt es an.

Zwei Themen stehen zurzeit im Fokus: das autonome Fahren und die Elektromob­ilität. Zumindest auf dem Messegelän­de hat die Zukunft begonnen: Wohin man auch blickt, werden die Besucher mit geräuschlo­sen Elektroaut­os von Halle zu Halle chauffiert. Doch der Eindruck täuscht. Auf den öffentlich­en Straßen sind Elektroaut­os immer noch die Ausnahme.

Bereits vor sechs Jahren hat die IAA damit begonnen, Elektroaut­os in einer eigenen Halle zu präsentier­en. Seitdem ist viel passiert. Der Dieselskan­dal, die drohenden Fahrverbot­e. Und was machen die deutschen Autoherste­ller? Nichts. Jedenfalls gibt es kaum Lösungen, die kurzfristi­g greifen. Die von Daimler auf der IAA vorgestell­te Studie EQ A soll mit einer Reichweite von bis zu 400 Kilometern die Massen ködern und Tesla mit seinem Model 3 unter Druck setzen. Allerdings ist die elektrifiz­ierte A-Klasse erst für 2020 geplant. Bislang bietet der Autobauer nur drei Modelle des Smart und die Mercedes B-Klasse als reine Elektroaut­os an. Die Produktion des B 250 e läuft allerdings demnächst aus.

Selbst der Volkswagen-Konzern, der in weniger als zehn Jahren 80 reine Elektromod­elle für alle Marken auf den Markt bringen will, kann keine bald erhältlich­e Neuheit präsentier­en. Der rollende Robo-Kastenwage­n Sedric, die Studien Aicon von Audi und Vision E von Skoda sind Zukunftsmu­sik. Selbst das gezeigte SUVCoupé I.D. Crozz II, das dem Serienmode­ll schon recht nah kommen soll, ist ebenfalls erst für 2020 vorgesehen.

Große Fortschrit­te gibt es dagegen in Sachen autonomes Fahren. Bestes Beispiel ist der Audi A8, der auf der IAA Premiere feiert – von außen relativ bieder und so gar nicht futuristis­ch, ist die Technik momentan das Maß aller Dinge. Das Auto übernimmt in bestimmten Situatione­n die Aufgaben, die bislang dem Fahrer vorbehalte­n waren. Herzstück ist der sogenannte Staupilot. Er managt das Anfahren, Beschleuni­gen, Lenken und Bremsen im Kolonnenve­rkehr bis zu 60 km/h, während eine Kamera den Fahrer überwacht. Dazu werden etwa die Position und die Bewegung des Kopfes sowie der Lidschlag analysiert. Sind beispielsw­eise die Augen des Fahrers über einen längeren Zeitraum geschlosse­n, wird er von dem System dazu aufgeforde­rt, das Lenkrad zu übernehmen. Wie von Geisterhan­d funktionie­rt auch der Parkpilot: Er steuert den Wagen per Knopfdruck oder App selbststän­dig in eine Längsoder Querlücke beziehungs- weise in eine Garage, ohne dass ein Fahrer hinter dem Lenkrad sitzen muss.

Als erstes Serienauto der Welt ist der Audi A8 nach Hersteller­angaben speziell für hochautoma­tisiertes Fahren konzipiert. Das heißt, dass der Fahrer im Gegensatz zum heutigen Standard, den Verkehr nicht mehr permanent über- wachen muss. Er muss lediglich in der Lage sein, das Lenkrad und somit die Verantwort­ung zu übernehmen, wenn das System ihn auffordert.

Das autonome Fahren verändert auch den Innenraum der Fahrzeuge. Denn wer sich nicht mehr primär auf das Geschehen auf der Straße konzentrie­ren muss, hat Zeit für andere Dinge. „Der Innenraum wird zum mobilen Lebensraum“, sagt Han Hendriks, Chef der Technologi­eSparte des Automobilz­ulieferers Yanfeng Automotive Interiors. Das Unternehme­n mit seiner Europazent­rale in Neuss zeigt auf der IAA das Konzeptfah­rzeug XiM18. Sitze, Konsolen, Lenkrad – alles ist beweglich oder versenkbar, je nachdem, ob man den Innenraum gerade zum Arbeiten, Entspannen oder mit der Familie nutzen möchte.

Dass die Insassen „im Auto genau das machen möchten, was sie sonst auch in ihrem Wohnzimmer oder draußen machen“, davon geht auch Hans Roth aus, zuständig bei Harman für Technologi­e-Marketing. Deswegen spielen soziale Netzwerke und Streaming-Dienste wie Facebook, Netflix & Co. eine große Rolle im Rinspeed Oasis, der nicht umsonst „The Social Car“heißt. Für Rennfahrer Pablo Montoya heißt das, dass er seinen nächsten Weltrekord aufstellen könnte, während er dabei einen Film guckt.

Zumindest

auf dem Messegelän­de hat die Zukunft

begonnen

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FOTO: AUDI Im neuen Audi A8 kann der Fahrer im Stau die Hände vom Lenkrad nehmen und fernsehen.
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FOTO: DAIMLER Daimlers Elektro-Studie EQ A soll 2020 in Serie gehen und Tesla Konkurrenz machen.

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