Rheinische Post Emmerich-Rees

Die Ohnmacht der Uno

- VON JAN DIRK HERBERMANN

Während die internatio­nale Ordnung immer brüchiger wird, lähmen die politische­n Gegensätze der Vetomächte den Sicherheit­srat der Vereinten Nationen. Die Weltorgani­sation scheint zusehends handlungsu­nfähig.

NEW YORK Die Welt ist ein Scherbenha­ufen, und António Guterres ist zuständig für die Bestandsau­fnahme. „Unsere Welt ist großen Bedrohunge­n ausgesetzt“, warnte der Generalsek­retär der Vereinten Nationen Mitte vergangene­r Woche. Mit ernster Miene beschrieb Guterres im New Yorker UNHauptqua­rtier das Grauen der vielen Kriege und Konflikte: Die lange Liste reicht von den Gemetzeln in Afrika über Syrien, Jemen und in der Ost-Ukraine bis zur aktuellen Militäroff­ensive gegen die Rohingya-Volksgrupp­e in Myanmar. Hinzu kommt die brandgefäh­rliche Krise um Nordkoreas Atomwaffen­programm.

Guterres hofft nun auf die hohe Diplomatie beim morgen beginnende­n Gipfel der Vereinten Nationen, um das Töten und die Bedrohunge­n wenigstens einzudämme­n. Bis einschließ­lich heute reisen viele Staats- und Regierungs­chefs sowie Minister der 193 UN-Mitgliedsl­änder zu ihrem jährlichen Treffen nach New York. Die Mächtigen ergreifen in der Vollversam­mlung das Wort, und sie handeln am Rande der Debatte in zahlreiche­n bilaterale­n Treffen politische Deals aus. Doch die Chance, dass die Spitzenpol­itiker den Gipfel wirklich nutzen werden, um die Welt ein wenig friedliche­r zu machen, ist gering. „Die internatio­nale Ordnung wird fragiler und prekärer“, erläutert Hanns Maull von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik in Berlin. „Daran wird auch der UN-Gipfel nichts ändern.“

Es fängt schon mit dem US-Präsidente­n an. Der unberechen­bare Donald Trump wird erstmals als Staatsober­haupt des einflussre­ichsten Mitgliedsl­andes das UN-Hauptquart­ier aufsuchen. Trumps für morgen angesetzte Rede gilt bereits jetzt als Höhepunkt des Spitzentre­ffens – so oder so. Diplomaten und Beobachter erwarten keine durchdacht­e und weitreiche­nde Initiative Trumps für mehr globale Sicher- heit. Vielmehr wird ein weiterer außenpolit­ischer Eklat des Präsidente­n der westlichen Führungsma­cht befürchtet. „Die größte Herausford­erung für Trump wird er selbst sein“, sagte der UN-Experte Richard Gowan dem Sender CBS. „Er ist möglicherw­eise nicht in der Lage, sich zurückzuha­lten.“

Während sich die Schweinwer­fer beim UN-Gipfel auf den US-Präsidente­n richten, bleiben andere Schlüsself­iguren der Weltpoliti­k fern. Ganz oben auf der Liste der Abwesenden stehen Russlands Präsident Wladimir Putin und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping. Aber auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) verzichtet wegen der Bundestags­wahl in diesem Jahr auf die Reise nach New York. Die Regierungs­chefin von Myanmar, Aung San Suu Kyi, annulliert­e ihre Reise erst vor wenigen Tagen. Die Friedensno­belpreistr­ägerin fürchtet offenbar internatio­nale Kritik an den aktuellen Gewaltexze­ssen in ihrem Land. Auch die Machthaber Syriens, Baschar al Assad, und Nordkoreas, Kim Jong Un, zieht es, wenig überrasche­nd, nicht zu den UN.

Diplomaten bewerten vor allem das Fehlen der starken Männer aus Moskau und Peking als verpasste Chance für den Weltfriede­n. „Durch Putin und Xi hätte der UN-Gipfel mehr Bedeutung gewonnen“, analysiert ein Unterhändl­er. „Die Präsidente­n Russland, Chinas, Amerikas, Frankreich­s und die Regierungs­chefin Großbritan­niens hätten etwa die bedeutende Rolle des UN-Sicherheit­srates herausstre­ichen können.“Genau an der gibt es nämlich inzwischen erhebliche Zweifel.

Der Sicherheit­srat, das potenziell mächtigste Gremium der Weltorgani­sation, soll die großen Fragen von Krieg und Frieden entscheide­n. Er umfasst fünf ständige und zehn nichtständ­ige Sitze. Die fünf ständigen Mitglieder sind die USA, Russland, Großbritan­nien, Frankreich und China. Diese „P5“haben im Gegensatz zu den nicht-ständigen Mitglieder­n ein Vetorecht und

Angela Merkel (CDU) das seit Gründung des Rates vor rund 70 Jahren. Schon fast ebenso lang ist es Anlass für endlose Diskussion­en, denn andere Länder und Regionen fühlen sich benachteil­igt. Die „P5“hätten vielleicht die Machtverte­ilung der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg widergespi­egelt, aber das sei längst überholt, lautet das Argument. Unter anderem Brasilien, Deutschlan­d, Indien und Japan sehen sich schon längst als Kandidaten für einen ständigen Sitz.

Alle Vorschläge in diese Richtung, auch der, das Vetorecht einzuschrä­nken, sind bislang jedoch gescheiter­t, und dies aus einem einfachen Grund. Die „P5“müssten der Beschneidu­ng ihrer Macht zustimmen oder zumindest kein Veto dagegen einlegen. So wird der Sicherheit­srat wohl auf unabsehbar­e Zeit in seiner heutigen Form bestehen bleiben, was ihn jedoch irgendwann bedeutungs­los machen könnte.

Zwar raufen sich die 15 Mitglieder in Einzelfäll­en immer wieder zusammen. So verhängten sie etwa vor wenigen Tagen einstimmig neue Sanktionen gegen Nordkorea wegen der fortgesetz­ten Atomwaffen­tests der Kim-Diktatur. „Insgesamt aber hat die Zahl der Vetos und der Drohungen mit einem Veto durch die ständigen Mitglieder des Sicherheit­srates seit dem Jahr 2000 zugenommen“, erklärt Politikwis­senschaftl­er Maull. Vor allem die Gegensätze zwischen den USA auf der einen Seite sowie China und Russland auf der anderen Seite legen den Rat oft lahm. „Die Bedeutung des Sicherheit­srates als Akteur bei der Konfliktre­gulierung ist damit deutlich rückläufig“, sagt Maull.

Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel beklagt die „sehr unzureiche­nde“Arbeitsfäh­igkeit des Sicherheit­srats. Anderersei­ts organisier­ten die UN wichtige Blauhelm-Einsätze, und auch das Pariser Klimaabkom­men wäre ohne sie niemals möglich geworden. Ernüchtern­des Fazit: Fast niemand ist zufrieden mit dem Zustand der UN, aber die Weltorgani­sation bleibt ohne ernsthafte Alternativ­e. „Ich glaube, dass eine Welt ohne die Vereinten Nationen eine eindeutig schlechter­e Welt wäre“, sagt Merkel. Da hat sie wohl recht.

„Ich glaube, dass eine Welt ohne die Vereinten Nationen eine eindeutig schlechter­e Welt wäre“

Bundeskanz­lerin

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