Auf den Spuren ihres Vaters
Die Kanadierin Harriet Jeneraux besuchte die Stelle, an der ihr Vater im März 1945 als Soldat fiel.
BIENEN (ha) Josef Becker hat Harriet Jeneraux untergehakt und führt sie langsam den Deich hinauf – wohl wissend, dass dies einer der bewegendsten Momente im Leben der 74-jährigen Kanadierin ist. Josef Becker weist mit seinem Stock auf eine Stelle auf dem Deich: „An dieser Stelle ist dein Vater am 25. März 1945 gestorben.“Zuvor hatte der Bienener ihr einen Strauß Sonnenblumen übergeben. Tränenüberströmt sinkt Harriet Jeneraux auf die Knie, legt die Blumen nieder und spricht ein Gebet. „Danke, dass ich das erleben durfte, dass ich an diese Stelle reisen konnte.“
Josef Becker steckt ein kleines Holzkreuz, das der kanadische Major David Dickson ihm einst geschenkt hatte, in die Deichkrone. „Als David Dickson im Jahr 1999 erstmals Bienen besuchte, fand er sofort die Stelle wieder, an der er damals angeschossen worden war“, erinnert Becker an den Hintergrund des Besuchs, der von Güssi Becker vom Vorstand der Heimatfreunde Bienen in Wort und Bild festgehalten wurde.
Ermöglicht hat den Besuch die US-amerikanische Stiftung Wish of a Lifetime. Diese erfüllt vorzugsweise älteren Menschen einen Lebenswunsch, den sie sich selbst nicht leisten könnten. Harriet Jeneraux’ Ehemann Keith wusste, dass seine Frau gerne das Grab ihres im Krieg gefallenen Vaters in Europa besuchen würde. „Soll ich versuchsweise eine Mail an Wish of a Lifetime schreiben?“, schlug er vor. Im Frühling schickte er den Herzenswunsch seiner Frau ein. Die Geschichte berührte, und dem Ehepaar wurde eine fünftägige Reise finanziert und der Besuch der gedenkwürdigen Stätten organisiert. Hierbei war Ali- ce van Bekkum, Präsidentin der Stiftung Faces to Graves, behilflich. Sie pflegte mit ihrem Mann eine innige Freundschaft zu Major David Dickson und kannte die Geschichte um den Vater von Harriet Jeneraux, Sergeant Edison Alexander Smith.
Am 25. März 1945 kamen die angreifenden kanadischen Nord Nova Scotia Highlanders beim kriegerischen Rheinübergang der Alliierten aus Richtung Grietherbusch über den Deich. Hinter dem Deich lauerte die deutsche Abwehr. Bei der kriegerischen Auseinandersetzung wurden Major Dickson und viele Kameraden verletzt. Nachdem Jeneraux’ Vater E.A. Smith einen der Verletzten versorgt hatte, eilte er zu seinem Kommandeur, der verletzt am Boden lag. In dem Moment schlug eine Mörsergranate ein. Smith warf sich schützend über den Major und begrub ihn unter sich. Dickson überlebte, Smith starb.
Harriet Jeneraux war ein halbes Jahr alt, als ihr Vater eingezogen wurde. „Er soll all’ seinen Kameraden stolz ein Foto von mir gezeigt haben“, erzählt die Kanadierin. Ihr blieb lediglich ein Foto als Erinnerung, das ihn als jungen Mann zeigt.