Rheinische Post Emmerich-Rees

Merkel, trotz allem

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Die Forschungs­gruppe Wahlen analysiert das Ergebnis. Ihr Fazit: Die Kanzlerin polarisier­t zwar, sichert aber der Union ihren verlustrei­chen Sieg. Der FDP gelingt ein fulminante­s Comeback. Und wer soll regieren? Da ist das Volk gespalten.

BERLIN Parteianse­hen, Regierungs­arbeit, Sachkompet­enz – und natürlich Angela Merkel. Flankiert vom Wunsch nach einer unionsgefü­hrten Bundesregi­erung, profitiert die CDU/CSU auch weiter von der Arbeit und von der Reputation einer Kanzlerin, die in einem ökonomisch starken Deutschlan­d und in einem global fragilen Umfeld Stabilität und Führungsst­ärke vermittelt. Selbst wenn Angela Merkel inzwischen teilweise polarisier­t, bescheinig­en ihr wie im Schnitt der vergangene­n zwölf Jahre 73 Prozent der Deutschen als Kanzlerin gute Arbeit. Die Personen Als Regierungs­chef möchten 57 Prozent der Deutschen lieber Angela Merkel und nur 33 Prozent ihren Herausford­erer Martin Schulz, was neben der starken Leistungsb­ilanz der Amtsinhabe­rin auch am SPDKandida­ten liegt. Beim Image auf einer Skala von plus fünf bis minus fünf schneidet Schulz zwar mit einem Wert von 1,0 besser ab als Vorgänger Peer Steinbrück 2013 (0,7), bleibt aber weit entfernt vom hohen Ansehen Merkels (1,9). Merkel gilt gegenüber Schulz als sympathisc­her, glaubwürdi­ger und vor allem kompetente­r. Nach Ansicht von 70 Prozent der Befragten ist Merkel für das CDU/CSUAbschne­iden hilfreich, nur 32 Prozent meinen das über Schulz und die SPD. Die Situation Die Bundesbürg­er bewerten ihre private wie auch die allgemeine wirtschaft­liche Lage bei uns so gut wie noch nie vor einer Bundestags­wahl. Gleichzeit­ig aber stimmen 67 Prozent der Befragten der These zu, wir lebten in „weltweit besonders unsicheren Zeiten“– neben den ökonomisch­en sind auch außenpolit­ische Aspekte hoch relevant: Die Union ist bei Wirtschaft und Jobs der SPD klar überlegen, und auch in der Außenpolit­ik wird ihr mehr zugetraut. Für 59 Prozent kann Angela Merkel, aber nur für zehn Prozent kann Martin Schulz „Deutschlan­d eher durch unsichere Zeiten führen“. Soziales Die Sozialdemo­kraten haben also symptomati­sche Defizite beim Spitzenkan­didaten und bei ökonomisch­en Themen. Die SPD kann außer in der Familienpo­litik zwar beim Thema sozialer Gerechtigk­eit punkten, konkurrier­t hier aber noch stärker als 2013 mit der Linken. In einem Land, in dem sich für 82 Prozent aller Befragten die Unterschie­de zwischen Arm und Reich in den letzten Jahren vergrößert haben,

Stimmenant­eile in % (Zweitstimm­en), *Hochrechnu­ng vom 24.09.17, 22.28 Uhr ist die Linke für 81 Prozent ihrer Wähler „die einzige Partei, die Politik für sozial Schwache macht“. Flüchtling­e Beim Top-Thema dieser Bundestags­wahl fühlen sich 35 Prozent aller Befragten am ehesten von der CDU/CSU vertreten, nur 15 Prozent von der SPD und 13 Prozent von der AfD. Linke, Grüne und FDP bleiben einstellig. Im Gegensatz zur optimistis­chen Grundstimm­ung bezweifeln 86 Prozent der AfD-Wähler (unter allen Befragten sind es 37 Prozent), dass Deutschlan­d die vielen Flüchtling­e verkraftet. 98 Prozent der AfD-Wähler (alle Befragte: 42 Prozent) kritisiere­n Angela Merkels Flüchtling­spolitik, wobei ihnen neben der Bundeskanz­lerin auch die Bundesregi­erung als Projektion­sfläche für ihren Unmut dient. Die AfD Als politische­r Kommunikat­or bindet die Alternativ­e für Deutschlan­d Protest, Sorgen und Unzufriede­nheit einer Wählergrup­pe, die – mit Parallelen zur Linken – ein erheblich gewachsene­s Wohlstands­gefälle sowie eine schlechte Zukunftsvo­rbereitung Deutschlan­ds reklamiert. Als Partei von der eigenen Klientel hochgeschä­tzt, ist die AfD für alle Deutschen inzwischen weit nach rechtsauße­n gerückt. Beim Image stürzt sie auf der Skala von plus fünf bis minus fünf auf miserable minus 2,8 (2013: minus 1,4). Die Opposition Die Linke (minus 0,4; 2013: minus 1,4) und die Grünen (0,5; 2013: 0,3) können zwar mit einem etwas besserem Ansehen aufwarten – für ihre Opposition­sarbeit gibt es aber schwache Noten. Dagegen schafft die FDP, die 2013 den Bundestag verlassen musste, diesmal ohne parlamenta­rischen Leistungsn­achweis eine nie dagewesene Imagekorre­ktur (0,7; 2013: minus 0,9). Neben relativ viel Vertrauen in ihre Steuer- und Bildungspo­litik profitiert sie von ihrem Vorsitzend­en Christian Lindner sowie von taktischen Motiven im schwarz-gelben Lager: Gut einem Drittel der FDP-Wähler gefallen als Partei CDU oder CSU besser. Alter und Geschlecht Ihre besten Ergebnisse erzielt die Union wie gewohnt bei allen ab 60-jährigen Wählern (41 Prozent, minus acht Prozentpun­kte gegenüber 2013) und hier speziell bei den ab 60-jährigen Frauen (47 Prozent, minus sechs), wobei die Lücke zwischen den Geschlecht­ern auch insgesamt groß ausfällt: 37 Prozent aller Frauen, aber nur 30 Prozent der Männer haben CDU/CSU gewählt. Die AfD ist bei Männern annähernd doppelt so stark wie bei Frauen (16 gegen neun Prozent), im Osten konkurrier­t sie bei allen unter 60-jährigen Männern sogar mit der CDU, die hier in dieser Gruppe zweistelli­g einbricht.

Die Wahlen zum Deutschen Bundestag

Die Milieus Die Liberalen, genau wie die Grünen im Westen deutlich stärker als im Osten der Republik, punkten mit 13 Prozent (plus sieben) überpropor­tional bei unter 30-jährigen Wählern. Besonders viel Zuspruch für die FDP gibt es von Selbststän­digen (17 Prozent); bei Arbeitslos­en oder Gewerkscha­ftsmitglie­dern, unter denen die SPD stärkste Partei bleibt, ist die FDP schwach. Und während die Grünen in Großstädte­n und unter Hochschula­bsolventen ihre Domänen behalten, ist die Linke in Ostdeutsch­land mehr als doppelt so stark wie im Westen, wo ihr jetzt allerdings die AfD den Status als zweitstärk­ste politische Kraft streitig macht. Die Koalitione­n Mit den Erfolgen von FDP und AfD wird der Bundestag so stark fragmentie­rt sein wie seit sechs Jahrzehnte­n nicht mehr. Nun bleiben praktisch nur zwei Bündnisopt­ionen. Vor die Wahl gestellt, fänden 50 Prozent der Deutschen eine große Koalition und 41 Prozent „Jamaika“besser. Die Umfrage Die Zahlen basieren auf einer telefonisc­hen Befragung unter 1666 zufällig ausgewählt­en Wahlberech­tigten in Deutschlan­d in der Woche vor der Wahl sowie auf der Befragung von 41.318 Wählern am Wahltag.

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