Rheinische Post Emmerich-Rees

Oh, wie schön ist Jamaika

- VON EVA QUADBECK

Luftlinie sind es 8500 Kilometer von Berlin nach Jamaika. Gefühlt sind es für Union, FDP und Grüne auch nicht weniger. Ein schwarz-gelb-grünes Jamaika-Bündnis ist nicht einfach nur eine neue politische Konstellat­ion. Es käme eher einer Art Völkervers­tändigung unter politische­n Parteien nahe. Staunend wird man gegenseiti­g zur Kenntnis nehmen müssen, dass auch CSU-Leute keine Grünen zum Frühstück verspeisen. Während die anderen feststelle­n dürfen, dass die Grünen ihre eigenen Ideologien durchaus pragmatisc­h interpreti­eren, wenn es um die Macht geht.

Ein Jamaika-Bündnis wäre freilich ein Experiment, ein Wagnis für die viertgrößt­e Volkswirts­chaft der Welt. Eine größere Stabilität ist der bewährten Koalition aus Union und SPD zuzutrauen. Doch dieser Konstellat­ion haben die Wähler einen dicken Denkzettel verpasst, indem sie ein zersplitte­rtes Parlament zusammenge­wählt haben.

Die Konsequenz ist einfach formuliert: Je mehr Parteien in einem Bundestag sitzen, desto anspruchsv­oller wird die Regierungs­bildung. Wenn die Volksparte­ien an Integratio­nskraft verlieren, müssen eben mehrere Parteien die Vertretung der Mehrheit übernehmen. Der Umstand, dass ein Jamaika-Bündnis mit vier sehr unterschie­dlichen Parteien mehr Sollbruchs­tellen aufweist als die bräsige große Koalition, ist aber zunächst einmal das einzige Argument gegen ein solches Bündnis.

Jamaika bietet auch die Chance zum politische­n Aufbruch. Wenn die Protagonis­ten etwas von politische­m Marketing verstehen – und das tun sie –, dann können sie sich als freiheitli­che und die Schöpfung wahrende Koalition verkaufen. Ein Bündnis, das endlich das Verspreche­n einlöst, dass Wirtschaft und Umweltschu­tz, Fortschrit­t und Nachhaltig­keit, Sozialstaa­t und Selbststän­digkeit jeweils zwei Seiten einer Medaille sein können. Das aber verlangt von allen Beteiligte­n ein Denken über den eigenen Tellerrand hinaus.

Nicht auf allen Politikfel­dern wird es den vier Parteien gelingen, einen sauberen Kompromiss zu finden. Dafür gibt es vom Verbrennun­gsmotor bis zur Flüchtling­spolitik zu viele Knackpunkt­e. Klüger wäre es schon, wenn jeder Partner ihm wichtige Projekte definieren und diese auch umsetzen kann. Ein Jamaika-Bündnis kann nur funktionie­ren, wenn alle Partner auch Punkte der Identifika­tion für sich und ihre Wähler finden.

Am schwersten wird der CSU die Reise nach Jamaika fallen. Sie wäre nach ihrem schlechten Wahlergebn­is der kleinste Partner in dem Bündnis und mit der Landtagswa­hl in Sicht der Wackelkand­idat. BERICHT

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