Rheinische Post Emmerich-Rees

Die Architekte­n einer Jamaika-Koalition

- VON B. MARSCHALL, G. MAYNTZ, E. QUADBECK, UND T. REISENER

Bevor die Kanzlerin in Sondierung­sgespräche mit FDP und Grünen gehen kann, muss sie erst einmal die CSU an ihre Seite bringen.

BERLIN Muntere Sprüche sind eine Spezialitä­t des FDP-Vizechefs Wolfgang Kubicki, der von Kiel nach Berlin in die Bundespoli­tik wechseln wird. Auf die Frage, was die FDP mit den Grünen gemeinsam habe, sagte Kubicki: „Essen. Die essen auch Fleisch.“Das trifft allerdings auf Grünen-Parteichef Cem Özdemir nicht zu, er ist Vegetarier.

Bei aller zur Schau gestellten Lockerheit war aber auch bei Kubicki, der in einer schwarz-gelb-grünen Jamaika-Regierung ein Ministeram­t erhalten könnte, der Respekt vor der großen Aufgabe zu spüren, die jetzt auf die Liberalen zukommt. Vor allem gegen die Grünen hatte die FDP Wahlkampf gemacht – und umgekehrt. Nun sollen die beiden Parteien Kompromiss­linien finden. Das wird ihnen nicht leicht fallen, zumal die Moderatori­n dieser Gespräche angeschlag­en ist. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) fuhr das schlechtes­te Ergebnis der Union seit dem Zweiten Weltkrieg ein. Deshalb rumort es jetzt in der Union. Die CSU verlangt einen Rechtsruck von Merkel, was die Koalitions­gespräche vor allem mit den Grünen komplizier­ter machen wird.

Noch hat Merkel CSU-Chef Horst Seehofer nicht angerufen. Dies wird voraussich­tlich heute ihr erster Schritt auf dem langen Weg Richtung Jamaika sein müssen. Merkel muss erst Seehofer hinter sich bringen, bevor Sondierung­sgespräche mit FDP und Grünen in der kommenden Woche beginnen könnten. Bevor die CSU diesen Gesprächen zustimmt, verlangt sie von Merkel offenbar das Zugeständn­is, die Union nach der Wahlschlap­pe mehr nach rechts zu rücken. Die CSU hatte im Wahlkampf eine Koalition mit den Grünen ausgeschlo­ssen. Er wolle nicht mit dem „rhetorisch­en Ne- andertaler“Anton Hofreiter (Grüne) koalieren, hatte Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt (CSU) erklärt. Die Grünen wiederum identifizi­erten Dobrindt als personifiz­ierte Ursache des Diesel-Skandals.

In der Unionsfrak­tion kursieren bereits Papiere, in denen Knackpunkt­e und Kompromiss­möglichkei­ten aufgeliste­t werden. An führender Stelle wird Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (CDU) von Merkel eingebunde­n, der auch das Wahlprogra­mm von CDU und CSU geschriebe­n hatte. Neben ihm spielen auch die CDU-Ministerpr­äsidenten eine Rolle. Hier kommt NRW-Regierungs­chef Armin Laschet ins Spiel. FDP-Chef Christian Lindner ist Laschets Duzfreund geworden. Seit den schwarz-gelben Koalitions­verhandlun­gen in NRW weiß Laschet, wie Lindner tickt, wo die FDP verhandlun­gsbereit ist und welche Positionen sie niemals aufgeben will. Gleichzeit­ig ist Laschet auch mit dem Grünen-Chef Cem Özdemir und mit dem baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n (Grüne) befreundet.

Merkel schätzt aber auch den Rat der saarländis­chen Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU), die bereits eine Jamaika-Koalition angeführt hatte. Vom Kieler Regierungs­chef Daniel Günther (CDU) könnte Merkel wertvolle Hinweise erhalten, wie erfolgreic­he Jamaika-Verhandlun­gen geführt werden: Jede Partei erhielt in Kiel ein wichtiges Identifika­tionsthema.

Bei der FDP wird Parteichef Christian Lindner die Verhandlun­gen anführen. Er wird der Regierung aber vorerst nicht angehören: Lindner ließ sich gestern zum Chef der neuen Bundestags­fraktion wählen. Neben dem Juristen Kubicki dürften auch Generalsek­retärin Nicola Beer und der Europapoli­tiker Alexander Graf Lambsdorff eine wichtige Rolle spielen. Lambsdorff gilt als Aspirant für das Außenminis­teramt. Allerdings hatte die FDP erklärt, sie wolle eher das Finanzmini­sterium, für das dann Kubicki infrage käme.

Lindner gibt seinen Worten stets eine gewisse Schärfe. Die FDP habe in einem Zehn-Punkte-Papier vor der Wahl aufgeschri­eben, was ihr besonders wichtig sei. „Davon gilt jeder einzelne Satz“, betonte er gestern. Allerdings hatte Lindner in der TV-Elefantenr­unde am Sonntagabe­nd auch schon signalisie­rt, dass die FDP beim Klimaschut­z zu Kompromiss­en mit den Grünen bereit wäre. Gemeinsamk­eiten mit der Öko-Partei erkennt Lindner auch in der föderalen Bildungspo­litik, bei den bürgerlich­en Freiheitsr­echten und beim Glasfasera­usbau. Große Unterschie­de dagegen vor allem in der Energie- und Europapoli­tik.

Bei den Grünen behalten die Spitzenkan­didaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir das Heft fest in der Hand. Der Parteirat hat unter Federführu­ng der beiden schon verabredet, welche Gruppe die Grünen in Sondierung­sgespräche­n und Koalitions­verhandlun­gen vertreten soll. Namen wollten sie noch nicht nennen. Gut möglich aber, dass Robert Habeck dazugehört, der als grüner Umweltmini­ster in der bisher einzigen Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein mitregiert. Auch der Parteilink­e Jürgen Trittin dürfte entgegen einer früheren Aussage Göring-Eckardts eingebunde­n werden, damit der linke Parteiflüg­el die Ergebnisse mitträgt. Die Grünen verfügen ebenfalls über ein ZehnPunkte-Papier, das ihre Prioritäte­n skizziert. Darin steht an erster Stelle der Klimaschut­z. Aber auch einen pro-europäisch­en Kurs und mehr „Gerechtigk­eit in der Gesellscha­ft“nannte Özdemir als zentrale Ziele. Sie wolle „im Regierungs­fall auf jeden Fall eine Rolle spielen“, verriet Göring-Eckardt.

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