Rheinische Post Emmerich-Rees

WERNER PATZELT „Der Osten kennt die gute Seite der Migration nicht“

- JULIA RATHCKE FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Der Dresdner Politikwis­senschaftl­er über die Wahl-Besonderhe­iten im Osten Deutschlan­ds und die vertanen Chancen der Union.

Herr Professor Patzelt, in den Ostländern hat die AfD bei der Bundestags­wahl abgeräumt. Was ist mit den ostdeutsch­en Wählern los? PATZELT Seit die Pegida-Bewegung dort groß geworden ist, eigentlich schon seit der Wiedervere­inigung, haben die Menschen dort weniger Vertrauen in die politische Elite als im Rest der Republik. Protest findet dort besonderen Widerhall, die Parteienla­ndschaft ist eine völlig andere – sie haben dort keine gewachsene Vergangenh­eit. Außerdem zieht das AfD-Thema Migration dort, Multikulti wie in westdeutsc­hen Großstädte­n wollen die Ostdeutsch­en nicht – und da fühlen sie sich einfach nicht ernstgenom­men. Warum wollen sie im Osten kein „Multikulti“? Dort gibt es die wenigsten Ausländer. PATZELT Die Ostdeutsch­en kennen es eben gar nicht, vor allem nicht die guten Seiten von Migration. Das liegt auch daran, dass Fälle von misslungen­er Integratio­n die Schlagzeil­en bestimmen – nicht die Erfolge. Hinzu kommt, dass den Ostdeutsch­en Patriotism­us sehr wichtig ist, das wurde unterschät­zt. Und der Osten ist nach der Wiedervere­inigung nie einbezogen worden in die Europäisie­rung. Was können Sie zur Wählerstru­ktur sagen? PATZELT Die AfD-Wähler im Osten sind überwiegen­d Männer und Arbeiter. Die AfD ist dort die Partei der kleinen Leute – entgegen der akademisie­rten SPD und dem Kurs der CDU, die die politische Mitte nicht mehr mitgenomme­n haben. Auch die Union ist weit von Ergebnisse­n früherer Wahlen entfernt. Ist der Ost-Bonus der Kanzlerin dahin? PATZELT Wenn es den je gegeben hat. Die Union versteht sich als Partei der politische­n Mitte. Für die Menschen, die sich als rechts verstehen, ist die Union schon lange keine Wahl mehr. Und weil die Union sich lange Zeit nicht um den rechten Rand gekümmert hat, hat sie eine Lücke geöffnet – für AfD und Pegida. Die Wahl hat den Schleier gelüftet und gezeigt: Viele fühlten sich von den Parteien nicht mehr vertreten. Die Union hätte ihren eigenen rechten Flügel nicht vernachläs­sigen dürfen. Gerade in den von Björn Höcke dominierte­n Ländern liegt die AfD zehn Prozentpun­kte über dem Rest der Republik – hat der Osten ein Nazi-Problem? PATZELT Die Hälfte der Wähler haben sich aus Protest für die AfD entschiede­n, die andere Hälfte findet wirklich was an der Partei. Manche der Wähler kommen inhaltlich von der Union, manche von der NPD. Das muss sich erst sortieren.

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