Rheinische Post Emmerich-Rees

Merkel regiert zunächst unbegrenzt weiter

- VON GREGOR MAYNTZ

Die alte Bundesregi­erung bleibt vorerst im Amt. Wie es jetzt weitergeht im neuen Bundestag.

BERLIN „Ab sofort“, meinte SPDChef Martin Schulz am Wahlabend, sei die Zusammenar­beit mit CDU und CSU beendet. Später korrigiert­e er sich, dass die SPD vertragstr­eu die Regierungs­geschäfte bis zum letzten Tag erfüllen werde. Das aber kann noch lange dauern.

Denn vorerst bleibt die schwarzrot­e Bundesregi­erung voll handlungsf­ähig im Amt. Erst wenn binnen 30 Tagen nach der Wahl, also bis zum 24. Oktober, der neu gewählte Bundestag erstmals zusammenge­treten ist, wird aus Merkels Kabinett eine „geschäftsf­ührende“Regierung, und zwar auf Ersuchen des Bundespräs­identen. Und die geht ebenfalls ganz normal ihren Aufga- ben nach, als wäre nichts geschehen – theoretisc­h unbegrenzt. Denn Merkel muss erst einem Kanzler weichen, wenn der neue Bundestag dafür eine absolute Mehrheit gefunden hat. Die steht allerdings noch in den Sternen. Doch hofft Merkel freilich, dass sie das selbst sein wird.

Wenn die SPD auf dem langen Weg bis dorthin jedoch die Nerven verliert und ihre Minister doch schon aus dem Kabinett zurückzieh­t, kann Merkel sie nicht einfach durch andere ersetzen. Dann müssten amtierende Minister die Ressorts der ausgeschie­denen Kollegen mitverantw­orten.

Die Gesprächsa­ngebote an SPD, FDP und Grüne hat Merkel gestern auf den Weg gebracht. Am Samstag entscheide­n die Grünen bei einem kleinen Parteitag (Länderrat), ob sie in Sondierung­en und Verhandlun­gen einsteigen. Dann wird über Wochen und Monate hinweg in zahlreiche­n Verhandlun­gsgruppen der Weg zur Verständig­ung gesucht. Grüne und FDP haben sich bereits festgelegt, über das Ergebnis erst die Mitglieder entscheide­n zu lassen, bevor sie einen Koalitions­vertrag unterschre­iben. Merkel hofft, bis Weihnachte­n eine neue Regierung stehen zu haben.

Als erste startete gestern die FDP mit den neuen Strukturen des Bundestage­s. Da es für sie noch keine Räume gibt, vollzog sie die Konstituie­rung ihrer 80-köpfigen Fraktion in der Parteizent­rale, und zwar demonstrat­iv in Saal 1 des Hans-Dietrich-Genscher-Hauses und damit genau an der Stelle, an der die FDP 2014 die Schritte zum Wiedereinz­ug ins Parlament beschloss.

Die Ankündigun­g von Partei- und Fraktionsc­hef Christian Lindner, „in der Mitte des Bundestage­s Platz nehmen“zu wollen, meint die FDP durchaus wörtlich. Sie will verhindern, neben der vermutlich ganz links (vom Redepult aus äußerst rechts) platzierte­n AfD zu sitzen. Nach den Attacken von Grünen und Union im Wahlkampf auf die FDP wäre das ein willkommen­es Signal für ein Zusammenrü­cken, hieß es zur Begründung. Aber auch die Union hat wenig Neigung, direkt neben der AfD zu sitzen. Die Entscheidu­ng fällt der sogenannte Vor-Ältestenra­t, in dem eine künftige Jamaika-Koalition die Mehrheit hätte.

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