Rheinische Post Emmerich-Rees

Liebenswer­te Narzissten

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Immer wollen sie die Größten sein, und wenn man ihnen Achtung verweigert, ziehen sie sich zurück. Aber Narzissten haben auch liebenswer­te Züge.

Herta W. aus Willich fragt: „Mein Arzt sagt, ich sei narzisstis­ch. Aber ich bin doch nicht Trump!“ Jürgen Vieten Zumindest das öffentlich­e Bild Trumps ist unbestritt­en narzisstis­ch. Ein „echter“(deutlicher) Narzisst ist in Gruppen normalerwe­ise Außenseite­r, erfolglos. Stecken wir selbst in diesem Verhaltens­muster, tun wir alles, um Anerkennun­g zu erhalten. Wir kämpfen, indem wir manipulier­en. Man soll uns für den „Größten“(Tapfersten, besten Teamplayer, die Klügste, beste Mutter) halten, und das auch noch ohne Leistung. Ein Gefühl (Angst, Wut) beherrscht uns, statt dass wir es kontrollie­ren. Wir teilen die Welt in „böse“(gegen mich, erkennt meine Größe nicht) und „gut“(für mich, spiegelt mir meine Größe), wir „polarisier­en“. Außerdem idealisier­en wir andere („Du bist toll, ich bin toll“), aber plötzlich entwerten wir sie wieder („Du bist das Allerletzt­e“).

In der Steinzeit brauchten wir Idealisier­ung und Entwertung in der Gruppe, das eine, um uns unterzuord­nen, das andere, um zu jagen, zu kämpfen und zu töten. Ohne Entwertung kann ich nicht töten. Da liegt auch die schlimmste Gefahr des populistis­chen oder religiösen Sichüber-andere-Stellens.

Viele von uns verhalten sich gelegentli­ch narzisstis­ch. Dies wird erst dann zum Problem, wenn der Mensch und seine Umwelt darunter leiden. Mangel an Mitgefühl („Empathie“) spielt dabei eine wichtige Rolle. Es gibt Hirnzellen, die uns eine Idee geben, wie sich der andere gerade unabhängig von mir fühlt („theory of mind“). Echte Narzissten besitzen eventuell aufgrund empathielo­ser Erziehung und Vererbung wenige oder gar keine dieser Zellen. Deshalb können sie oft nicht spüren, wenn der andere leidet, Schmerz oder Angst hat. Weitere Merkmale sind Unberechen­barkeit sowie Benutzen und Sichbenutz­en-Lassen. Für Gruppen gilt: Diese wollen natürlich Leistung, Stärke und „Charakter“sehen, bevor sie jemanden zum Anführer machen. Narzissten meinen aber, die Führerscha­ft stehe ihnen einfach zu. Verwei-

Therapeuti­sch benötigen Narzissten eine lang dauernde, wertschätz­ende, empathi

sche Beziehung

gert man sie ihnen, dann ziehen sie sich gekränkt und enttäuscht zurück. Allerdings: Oft entwerten „Verlierer“die „Gewinner“als Narzissten, um ihr eigenes verletztes Ego zu schützen.

Die meisten Narzissten sind trotz oder gerade wegen dieser Schwächen liebenswer­t. Sie sind ständig bemüht, es anderen irgendwie recht zu machen. Da sie in der Kindheit „nicht gesehen“wurden, verwenden sie viel Kraft darauf, doch noch einmal echte Liebe und Wertschätz­ung zu erfahren. Therapeuti­sch benötigen Narzissten eine langdauern­de wertschätz­ende empathisch­e Beziehung, um nachreifen zu dürfen. Wegen des schlechten Images hoffe ich als Psychiater zukünftig auf einen neuen, neutralen Begriff.

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