Rheinische Post Emmerich-Rees

Der Elefant auf der Suche nach dem Groove

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Ein Dokumentar­film erinnert an den legendären Produzente­n Conny Plank. Er war der Mann hinter Kraftwerk und den Eurythmics.

KÖLN Man kann den Einfluss dieses Kerls mit dem mächtigen Körper nicht überschätz­en. Vielleicht ist es sogar so, dass wir es Conny Plank zu verdanken haben, wenn es in der Popmusik überhaupt eine deutsche Nationalku­ltur gibt. Musiker orientiert­en sich in den 1950er und 60er Jahren ja zumeist an amerikanis­chen und englischen Vorbildern; das reichte bis zur Imitation, wie man an den Rattles aus Hamburg sieht. Erst Ende der 60er Jahre entstand ein eigener Sound, und bei den wichtigste­n Platten saß Conny Plank am Mischpult. Er produziert­e Kraftwerk, Neu! und Harmonia, er half den Scorpions, DAF und Ideal. Und als er selbst ein Star war, enga- gierten ihn Ultravox, Devo und die Eurythmics. Nur als Bono bat, Plank möge das Album „The Joshua Tree“seiner Band U2 einrichten, schüttelte der den Kopf. Er hatte seine Prinzipien, und diesen Bono konnte er nicht ausstehen.

In den vergangene­n Jahren erlebt die Arbeit Planks, der 1987 im Alter von 47 Jahren an Lungenkreb­s gestorben ist, eine Renaissanc­e. Erst jetzt begreift man, wie wichtig er war. Deshalb kommt die Dokumentat­ion seines Sohnes Stephan Plank zur rechten Zeit ins Kino: „The Revolution Of Sound“erzählt die Geschichte der populären Musik in den 70er und 80er Jahren. Der Ort, an dem sie spielt, heißt Wolperath und liegt 35 Kilometer von Köln entfernt. Dort richtete Plank 1974 sein Studio in einem Bauernhof ein, das Mischpult stand im Schweinest­all. Er hatte Starkstrom­ingenieur gelernt, arbeitete als Sendetechn­iker, etwa beim WDR. In seiner Hamburger Zeit hatte er mit Otto Waalkes und Udo Lindenberg in der legendären WG „Villa Kunterbunt“gelebt.

Stephan Plank gibt dem Film einen erzähleris­chen Rahmen, der gut funktionie­rt. Er war 13, als sein Vater starb, und nun möchte er sich von Künstlern in L. A., London und Berlin erzählen lassen, wie Conny war. Es entsteht das Bild eines besessenen und zugleich uneitlen Arbeiters, der nie darauf aus war, Produktion­en mit seiner eigenen Handschrif­t zu versehen. Er redete mit Künstlern, brachte sie zum Nachdenken über das, was sie taten. Er bot Familienan­schluss, Ruhe und die neueste Technik. Und mit DAF, die nur Geld für drei Tage Studiomiet­e hatten, diskutiert­e er zwei Tage lang und nahm am letzten Tag das Album in einem Rutsch auf. „Er hat uns hochgelift­et“, sagt DAFSchlagz­euger Robert Görl, während er vor der heimischen Bücherwand steht, in der man einen Band über die Freimaurer entdecken kann.

Planks Liebe galt der Wiederholu­ng, das Repetitive war für ihn das Entscheide­nde. Als die britische Band Freur, aus der später Underworld hervorging, ihren Hit „DootDoot“aufnahm, verließ Plank das Studio und kehrte bald mit einem Schlauch zurück. Er wirbelte ihn in der Luft herum, nahm das Geräusch auf, und das wiederkehr­ende Pfeifen im Refrain ist nun der Effekt, der dem Stück das gewisse Etwas verleiht. „Es gibt keine Regeln“, sagte Plank. Und: „Craziness is holy.“

Michael Rother sagt in dem Film, dass Plank etwas Eigenes habe schaffen wollen, den Sound Westdeutsc­hlands. Er wollte den Status Quo in Frage stellen. Er wollte zukunftsta­ugliche Musik. Etwas von Relevanz und Dauer. Eine Identität. Deshalb schloss er die Verrückten in sein Herz und beteiligte sich an der Finanzieru­ng mancher Aufnahmen chronisch klammer Künstler. „Conny hat uns entdeckt“, sagt Klaus Meine, und bestimmt weiß er, dass das von Plank produziert­e erste Album der Scorpions bis heute ihr bestes ist. Planks Vorschlag, die Scorpions sollten sich lieber Stalingrad nennen und hinter Stacheldra­ht auftreten, lehnten sie jedoch ab. Die Idee wurde später von Rammstein dankbar aufgegriff­en.

Künstler, die er nicht mochte, behandelte Plank schroff. Jean-Michael Jarre nannte er einen „Lügner am Synthesize­r“. Und David Bowie schlug er die Tür vor der Nase zu, als der ihn bat, das Album „Heroes“zu produziere­n. Dafür saß ständig Brian Eno in Planks Studio rum. Das frühere Mitglied von Roxy Music bezeichnet sich selbst als Planks Meistersch­üler. Mit dem Wissen, das er bei Plank gesammelt hatte, richtete Eno schließlic­h Bowies „Heroes“ein. Und später produziert­e er auch „The Joshua Tree“von U2.

Wie einflussre­ich deutsche Musik im Ausland geworden war, erkennt man daran, dass sich John Lydon von den Sex Pistols der Band Can anschließe­n wollte. Und die Briten von Ultravox hängten ein Ausrufezei­chen an ihren Bandnamen – als Hommage an die Kollegen von Neu!.

Die traurigste Stelle des Films ist jene, in der sich Annette Humpe über Planks Vaterrolle Gedanken macht. Er habe sich kaum um seinen Sohn gekümmert, sagt sie. Stephan Plank schluckt. „Er war ein Hippie, der die Maschinen liebte“, sagt Gianna Nannini. „Ein Elefant auf der Suche nach dem Groove.“

Carmen Knoebel, früher Inhaberin des „Ratinger Hofs“in Düsseldorf, erinnert sich an die letzten Monate Planks. Er habe nicht auf die Hilferufe seines Körpers gehört und sei trotz seiner Krebserkra­nkung mit den Eurythmics in Japan auf Tournee gegangen. Kurz vor Weihnachte­n 1987 ist er gestorben.

Es gibt nicht viele Fotos mit ihm und seinem Papa, sagt Stephan Plank, der selbst Familienva­ter ist, während er einen Stapel LPs durchsieht. „Meine Erinnerung­en sind in den Rillen des Vinyls gespeicher­t.“

David Bowie schlug er die Tür vor der Nase zu. Und Bono konnte er

nicht ausstehen

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